Donnerstag, 24. September 2015

Selbstmörder auf dem Baukran

Diese Geschichte fiel mir heute auf dem Weg zur Arbeit ein.
 
Die Baustellenbesichtigung war ganz interessant. Mit unseren knallgelben Bauhelmen liefen wir unserem Tourguide hinterher und ließen uns die spannendsten Teile der Baustelle zeigen. Wir waren fast ganz oben, als unser Guide uns abrupt anhielt, seiner Funkanweisung lauschte, erst ungläubig, dann besorgt dreinschaute.
 
Als der junge Mann, der fast neben mir stand, sich wegdrehte, hörte ich noch das Wort "Selbstmörder" und "Kran" und "WIRKLICH?".
 
"Das ist doch Kran Drei, gleich hier neben uns." sprach er mit bemüht leiser Stimme hörbar aufgeregt in sein Mikro. "Verdammt!"
Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, atmete durch und rief uns zusammen. In beruhigenden Worten machte er uns klar, dass die Tour aufgrund eines Zwischenfalles hier nun beendet werden muss und er uns nun nach unten führen würde.
 
Nervös blickte er dabei immer wieder auf das riesige Loch in der Betonwand, wo später eine Fensterfront sein sollte. Direkt davor stand das Gitter eines gelben Baukranes. Wir sollten nun zügig daran vorbei gehen, doch ich war neugierig geworden und schaute hinaus. Tatsächlich. Etwas oberhalb von unserer Position kletterte ein ebenfalls junger Mann langsam das Gerüst hoch. Im Grunde bewunderte ich ihn dafür, denn ich hatte Höhenangst.
 
Etwas zog an meinem Ärmel, mein Guide.
"Bitte kommen Sie! Die Polizei ist informiert und wird sich kümmern."
Überzeugt klang er nicht und ich wusste aus meiner Erfahrung, dass die Kollegen erst mal unten alles absperren, einen Psychologen herbeordern und hier beordern und dann Gespräche anfangen würden.
 
Kurzentschlossen schaute ich mich um, ergriff eine lange Aluleiter und schob sie zur Fensteröffnung.
 
"Was haben Sie vor?"
 
"Wonach sieht das aus? Ich habe eine Leiter und ich werde sie benutzen." Den Spruch brauchte ich für mein Ego und meinen nervösen Magen.
 
Die Leiter konnte ich fast im fünfundvierzig Grad Winkel aufstellen und gegen die Außenwand lehnen. Der Kran stand nur, nur ist hier relativ gemeint, wenige Meter vom Gebäudekorpus weg. Meine Beine wurden weich, mein Puls schien zur Dampfmaschine zu werden.
 
Bemüht, nach vorne und ja nur nicht nach unten zu schauen, atmete ich noch einmal durch und bestieg die Leiter.
 
Gottverdammtescheiße!
 
Ja, verflucht, ich habe Höhenangst. Ja, verflucht, dreißig Meter sind HOCH und Leitern nicht vertrauenswürdig. Mit schwitzigen Händen krabbelte ich langsam über die Leiter nach oben, fast auf allen vieren und verkrampft nur nach vorn und oben schauend.
 
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
 
Im Grunde war ich froh, als ich _endlich_ den verfluchten Kran erreichte und mich im Gestänge setzen konnte, wie auf eine Turnstange. Als dieser blöde Kran sich jedoch ganz leicht im Wind drehte, verkrampften sich meine Arme und die Stange neben mir, mein Puls machte einen erneuten Satz und ich musste an mich halten, nicht die Blase gegen meinen Willen zu entleeren.
 
Es gab eine Leiter, die ich nach einigen Sekunden des Atmens nutzte. Auf dem Ausleger angekommen, schaute ich diesen entlang und erblickte den jungen Mann gar nicht weit von mir, sich ebenso wie ich, festklammernd. Ihm schien die Höhe auch nicht zu gefallen.
 
Toll!
 
"Hallo!" rief ich.
 
Hektisch drehte er seinen Kopf zu mir, schrie auf und wedelte mit den Armen. Ich sollte wohl weg bleiben.
 
Kannst du haben.
 
Er sagte noch was, was ich nicht verstehen konnte, und ich rief noch mal:
 
"Hallo!"
 
Er schüttelte mit dem Kopf und ich rief viel lauter:
 
"Können Sie nicht etwas näher kommen, dass wir uns unterhalten können? Ich habe eine scheiß Höhenangst und möchte ungern zu Ihnen raus kommen müssen."
 
Er schüttelte den Kopf. Arsch.
 
So kletterte ich ganz auf Höhe des Auslegers und etwas darauf. Da wedelte er mit den Armen.
 
"Na gut." rief ich, "Dann kommen Sie etwas näher! Sonst muss ich zu Ihnen raus."
 
Nur nicht nach unten schauen. Nur nicht nach unten schauen.
 
Tatsächlich. Er kletterte einige Meter zu mir herüber und hielt in circa zwei Metern Abstand.
 
Meine Arme zitterten etwas, mein Atem ging schwer, trotz dessen ich saß. Schweiß lief mir von der Stirn runter und mein Unterhemd klebte schon.
 
Mist verdammter!
 
"Guten Tag. Polizeihauptmeister AD Bleier. Freut mich Sie kennen zu lernen. Dürfte ich Ihren Namen erfahren?"
 
Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte er mich an.
 
"Jakob, Jakob Stresemann."
 
"Hallo Jakob. Mögen Sie mir bitte auch Ihr Geburtsdatum verraten?"
 
Wieder schaute er mich an, als sei ich hier der Irre, nicht er.
All meine Schauspielkunst zusammen nehmen, schaute ich ihn auffordernd an, als sei das hier ein ganz normales Gespräch.
 
Er nannte es mir und ich schaffte es sogar, diese Daten in meinem Notizbuch festzuhalten, welches ich blind aus der Tasche zog.
 
Nur nicht nach unten schauen. Schau ihn an, schau nach vorne.
 
"Vielen Dank. Das dient der Identifikation, damit wir Ihre Hinterbliebenen leichter informieren können. Es ist immer schwer, für die Angehörigen, wenn sie Suizidopfer im Leichenschauhaus identifizieren müssen."
 
Ein Zucken ging über sein Gesicht.
 
Ha! Daran hast du nicht gedacht, was? Dass deine Mutter vielleicht ein ganz klein wenig traurig sein könnte, ihren Sohn zermatscht auf dem Asphalt zusammen kratzen zu lassen.
 
"Ihre Körpergröße und Ihr Gewicht, bitte!"
 
"Was wollen Sie denn damit?" fragte er verwirrt und ärgerlich zurück.
 
"Na, hören Sie mal. Sie sind doch hier hoch. Kennen Sie das nicht aus den Lucky Luke Comics? Der Leichenbestatter hat doch vor jedem Duell Maß genommen, damit er hinterher schnell den Sarg bestellen konnte."
 
Sein Blick sagte alles. Ich hatte ihn durcheinander gebracht und abgelenkt. Punkt für mich.
 
Die ganze Zeit hatte ich nur ihn, und wirklich nur ihn angeschaut. Meine scheiß Höhenangst machte mir zu schaffen. Normalerweise versagte ich schon bei Hochseilgärten an der ersten Leiter nach oben.
 
Nun passte ich nicht auf, erhaschte einen Blick nach unten und alles drehte sich. Ich biss die Zähne zusammen, pumpte Luft dadurch und stöhnte verkrampft auf.
 
Fragend schaute er mich an.
 
"Höhenangst." stöhnte ich. Unten sah ich Blaulichter von Polizei und Rettungswagen. Auch zivile Kollegen waren vor Ort.
 
"Und was machen Sie dann hier?" fragte er. Na, danke.
 
"Wonach sieht das wohl aus? Sie retten!"

"Und wenn ich nicht gerettet werden will?"

"Na, dann möchte ich vorher wissen, warum Sie überhaupt hier oben sind, in dieser *zensiert* Höhe?"

"Sie haben 'n Knall!"

"Das sagt der Richtige." gab ich zurück.

Der Wind wurde etwas kräftiger und der Kran vibrierte etwas. Mein Magen sprang Flickflacks rückwärts, mein Gesichtsfeld verschwamm und ich stöhnte wieder auf. Peinlich.

Ich konnte, als ich wieder sehen konnte, ein wenig Mitleid in seinem Gesicht sehen.

"Alter." stöhnte ich. "So ein Scheiß. Ich flieg nicht mal mit 'nem Flugzeug."

Er grinste. Hey, das ging gut weiter.

"Und warum wollen Sie jetzt ohne Fahrstuhl darunter?" fragte ich. Ich musste mich ablenken.

"Meine Freundin hat mich verlassen." sagte leise.

"JA UND?" Diese Frage kam aus dem Bauch heraus von ganzen Herzen.

"ICH LIEBE SIE!"

"Klar. Das kennen wir alle. Deswegen springt man doch nicht in den Tod!"

"ICH KANN NICHT OHNE SIE LEBEN!" schrie er mich an. Das lief nun grad weniger gut. "ICH WILL SIE WIEDERHABEN!" War da eine Träne?

Vorsichtig schüttelte ich den Kopf.

"Ihren Schmerz kann ich gut nachvollziehen. Als meine erste Freundin mich damals sehr überraschend verlassen hatte, war ich auch verdammt traurig. Und wütend. Und Frauen habe ich gehasst. Alle, ok, bis auf meine Mutter."

"Ich kann nicht ohne sie leben." wiederholte er nun etwas ruhiger.

"Na, bisher machen Sie einen sehr lebendigen und fitten Eindruck. Also klappt das schon mal sehr gut. Der Schmerz geht vorbei, das kann ich Ihnen versprechen. Ich brauchte ein Jahr, um über das gröbste hinweg zu sein und Frauen nicht mehr pauschal blöd zu finden."

Nun war er es, der den Kopf schüttelte.

"Und dann, dann geht's ab! Ich hatte danach die lustigste Zeit in meinem Leben, was den Sex angeht. Alter Schwede. Da spielt man wieder richtig auf. Das hat Spaß gemacht."

Gedankenverloren an diese Zeit, schaute ich von ihm weg und mein Blick glitt nach unten. Sofort drehte sich alles und erneut verkrampfte ich mich in das Gestänge.

"SCHEISSEEEEEE!" stöhnte ich.

"Hä?" fragte zurück.

"Hab nach unten geschaut." ächzte ich.

Mit gerunzelter Stirn schaute er mich an, als sei ich selbst Schuld. Dann überraschte er mich mit seiner Frage:

"Meinen Sie, das geht wirklich vorbei."

"Scheiße, verdammte, ja. Nach dem Jahr des Zorns hatte ich Sex wie nie. Dummerweise hatte ich immer recht schnell wieder 'ne feste Freundin. Naja, nun bin ich verheiratet. War also nicht so schlimm."

Nachdenklich sah er mich an.

"Ich vermisse sie."

"Das ist gut so. Wäre auch komisch, wenn nicht. Nützt aber nix, wenn sie nicht mehr bei Ihnen sein will. Reisende und so."

Er nickte. Ha! Noch ein Erfolg.

"Und was glauben Sie, wird Ihre Ex von Ihnen denken? Glauben Sie, sie wird vor Trauer zerfließen? Mit Sicherheit wird sie denken, Sie sind ein solches Weichei, dass vor Trauer gleich vom Kran hüpft."

Der Mund stand ihm offen. "Äh."

Eine Bö ließ den Kran sich drehen. Mir wurde weiß und schwarz vor Augen. Ein Stöhnen entrang sich meiner Kehle. Ich würgte.

Skeptisch schaute er mich an. "Alles ok mit Ihnen?"

"Nein, verdammt. Sieht das hier ok aus?" Meine Klamotten waren klatschnass. Meine Hände weiß, weil sie sich um das Gestänge verkrampften und mir speiübel. Wieder würgte ich.

"Hilfe!" presste ich zwischen den Zähnen hervor. Meine Kräfte schwanden.

"Hä?"

"Hilfe! Sie müssen mir helfen! Ich kipp hier gleich runter. Und ich wollte heute nicht sterben."

"Wie soll ich Ihnen helfen?"

"Keine Ahnung, kommen Sie her, halten mich, helfen mir auf die Plattform was weiß ich, zur Hölle. Sie sind länger hier oben, als ich." Meine Worte kamen gehetzt zwischen den Zähnen hervor.

"Man, wenn es Ihnen hilft, können Sie danach ja immer noch springen."

"Bitte!" ergänzte ich, wieder würgend.

Sichtlich hin und her gerissen, zögerte er. Doch dann machte er sich auf den Weg.

Gott im Himmel, ich danke dir!

Bei mir angekommen, ergriff er mich am Gürtel und zog mich zur Leiter. Ich zitterte nicht mehr, ich schlotterte am ganzen Körper. Ein sich schüttelnder Hund war nichts gegen mich. Beruhigend legte er seine Hand auf meine Schulter, was ich mit einem dankbaren Blick quittierte.

Nach und nach, Schritt für Schritt kletterten wir nach unten. Er hatte mich umfasst, fast könnte es aussehen, als hätten wir Sex. Oh man, Gedanken die man sich macht.

Auf der ersten Plattform brach ich zusammen. Ein Schüttelkrampf packte mich und ließ mich mehrere Minuten zittern, dass ich sicher war, dass die Einsatzkräfte das unten spüren mussten. Was oder ob in den Minuten etwas passierte, kann ich nicht sagen. Ich weiß da nichts mehr von.
Als ich wieder klar war, saßen wir zusammen nebeneinander auf dem schmalen Gitter und schwiegen.

"Danke."

"Hmm?"

"Danke. Dass Sie mich gerettet haben."

"Ah. Wollen Sie nicht mehr den direkten Weg nehmen?"

"Nein."

Ich nickte. "Gut."

Wieder schwiegen wir. Von unten ertönten Schritte auf der Leiter. Ich vermutete, dass ein Polizeipsychologe die falsche Karte gezogen hatte und zu uns rauf musste.

Nein, es kam ein behelmter Einsatzmann vom SEK. Ich vermutete, Geiselrettung.

"Guten Tag."

"Tag." antworteten Jakob und ich zusammen und mussten grinsen.

Irritiert schaute der Beamte uns durch seine Schutzbrille an. Mit zusammengekniffenen Augen fragte er:

"Was ist hier los?"

Ich nickte zu meinem Sitznachbarn rüber. "Wir wollen gleich ein Bier trinken."

"Wollen Sie mich verarschen?"

Müde lächelte ich und schüttelte den Kopf.

"Ich wollte springen."

Der Beamte nickte. "Das hatten wir vermutet. Und jetzt nicht mehr?"

"Nein, jetzt nicht mehr."

"Kommen Sie freiwillig runter?" fragte er, sein Ton war nun eher genervt.

Jakob nickte.

"Dann folgen Sie mir bitte." Ah, doch erleichtert, nicht in den Ringkampf gehen zu müssen. "Kommen Sie auch allein runter?" Sein fragendes Gesicht schaute mich an und ich war versucht, etwas böses zu antworten.

"Gute Frage. Ich kotze gleich. Haben Sie Scheuklappen?"

Wow, sein Gesicht änderte die Farbe von sportlich rot in Zornesrot innerhalb von Sekunden.

"Man, das war ein Witz. Ein scheiß Witz. Sorry, Kollege."

"Kollege?" fragte er, die Augenbrauen skeptisch erhoben.

"Polizeiobermeister Blei." antwortete Jakob statt meiner.

Schwach grinste ich und berichtigte: "Polizeihauptmeister AD Bleier."

"AD?" Der Beamte schaute mich nun sehr intensiv an. "Bleier? Der Bleier?"

"Ja." antwortete ich leise. Verhindern konnte ich nicht, dass mein Gesicht sich vor Trauer verzog. "Der Bleier."

Der Kollege gegenüber nickte und winkte dann Jakob zu. "Dann kommen Sie mal bitte. Das Bier unten geht auf mich."

Beide kletterten voran, ich langsam hinterher. Auf jeder Plattform empfing uns ein Kollege, die dann hinter mir her kletterten. Je tiefer wir kamen und je mehr Polizisten um mich kletterten, desto besser ging es mir.

Nach gefühlten Stunden kamen wir unten an. Als ich endlich endlich festen Boden unter den Füßen spürte, wurde mir schwarz vor Augen und ich spürte nur noch, wie kräftige Hände mich packten.

Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich erst blauen Himmel, dann einen Sanitäter, der mir bekannt vorkam und den Beamten, der ganz oben war.

"Na, wieder besser."

Nickend ergriff ich die Wasserflasche, die mir der Sani reichte. Den halben Liter leerte ich in einem Zug. Ich bekam noch eine.

"Was ist mit Jakob?" fragte ich.

"Den haben wir im Bus. Wird verhört."

"Darf ich gleich zu ihm?"

"Sicher." antwortete er mit einem gleichgültigen Achselzucken.

"Ich möchte ihm einen Arschtritt verpassen."

Anerkennend hob Leiter des SEK eine Augenbraue.

"Gute Idee. Von mir gleich mit."

Mit Hilfe des Sani gelangte ich sicher zum Bus. Jakob sah nicht glücklich aus. Der Beamte in zivil, der ihn verhörte, auch nicht. Er sah aus, wie eine Bulldogge, die eine kleine Katze vor sich hatte, die sich gleich verspeisen wollte.

"Na?"

"Na."

"Was ist los? Siehst aus, als wärest du doch lieber gesprungen."

"Na, der Typ hier" er zeigte auf den Beamten in zivil, "macht einen auf Psychorambo und sieht aus, als wolle er mir die Fresse polieren."

"Das hast du auch verdient. Von mir bekommst du auch noch einen Arschtritt! Geht nur grad nicht."

Ich ließ mich einfach neben den Zivilen in den Sitz fallen, schnappte mir den Protokollbogen und las.
"Na komm, das schaffen wir."

Zusammen gingen wir die Personalien durch, dann trat der Polizeipsychologe auf und übernahm. Der Mann verstand sein Handwerk. Ich hörte Jakob immer entspannter antworten. Der Zivile rückte bedröppelt ab.

Erst jetzt fiel mir das Aufgebot auf, dass hier aufgefahren wurde. Zahlreiche Polizeiwagen standen herum, Krankenwage, Feuerwehr. Hinter Absperrungen standen so viele Neugierige, dass die Polizisten sie kaum abhalten konnten. Lauter Reporter drängelten sich. Kameras filmten das ganze Gelände. Schnell klappte ich den Kragen meiner Jacke hoch und zerrte mein Basecap aus der Jackentasche. Ich versteckte mich hinter einen Bus und lugte um die Ecke.

Wie komme ich hier wieder weg? Der Sani sah mich, erkannte mein Dilemma und sprach mich an.

"Na, Fluchtauto nötig?" grinste er breit.

"Oh man, gerne. Ich geb 'n Bier aus."

"Nicht nötig. Sie haben einen gut bei uns. Immerhin müssen wir hier keine Scheiße aufwischen." lachte er trocken.

Ein anderer Beamter lief auf mich zu. Mist! Das wird wohl nix mit schnellem Abgang.

"Können Sie morgen zu uns aufs Revier kommen, Herr Bleier? Wir brauchen Ihre Aussage. Ihre Aktion hat große Wellen geschlagen. Sie sehen ja, was hier los ist."

"Geht klar."

Formlos reichte er mir seine Karte und ich verzog mich mit dem Sani. Da rief jemand:
"Bleier! Warte!"

Jakob, gefolgt von einem Polizisten und dem Psychologen, lief auf mich zu.

"Man, hau doch nicht einfach ab."

"Sorry, Jakob, mir geht's nicht gut. Ich bin müde. Hundemüde."

Enttäuscht sah er mich an.

"Keine Sorge, es bleibt bei unserem Bier. Versprochen. Nur bitte nicht heute. Ok?"

Sofort hellte sich seine Miene auf. "Ok."

Nun hatte ich auch seine Karte in der Hand, las kurz und steckte sie weg. "Anwendungsentwickler. So so. Erzähl mir bei Bier mehr davon. Ich wende mich jetzt an mein Bett."

Zwinkernd winkte ich ihm zu und wurde vom Sani nach Hause gefahren.


Drei Tage später kratzte man die zerschlagenen Reste von Jakob von der Stelle, wo er mir die Karte überreicht hatte. Ich habe sie bis heute nicht weggeworfen.

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Überfall auf das Büro

Gähn! Was für ein langer und weiliger Tag. Nun ja, das Mittagessen lag mir auch schwer im Magen und so versank ich langsam in meinem riesigen Chefsessel, die Füße auf einem typischen Papierkarton aufgestützt und surfte gelangweilt vor mich hin.
Im Grunde hätte ich ein Nickerchen machen sollen, dazu fehlte uns leider der Raum. So überlegte ich gerade, ob ich mir einen Kaffee holen sollte oder spazieren gehen oder gar beides, da rumpelte es an der Tür und ein Knall, gefolgt von einem Schrei, hallten durch den Flur.
 
Da ich mit dem Rücken zur Tür saß und das Fenster mir gegenüber war, konnte ich in der Spiegelung meine Tür beobachten. Das hatte ich schon immer gern genutzt, um zu sehen, wer sich leise in die Tür stellte, um mich zu beobachten. Ja, solche Kollegen hatte ich.
 
Nun stellte sich diese Situation als praktisch heraus, denn nach dem anfänglichen Knall folgte ein längeres Knattern, dass ich so nur aus Filmen kannte.

Schüsse? Hier? Verwechseln die uns?
 
Schwere Schritte kamen den Flur entlang, Türen wurden aufgerissen, Kollegen aus den Büros gezerrt, ab und an ein Schuss, Möbel fielen um. Irgendwo klirrte Glas, weinen. Das alles hörte ich und mein Puls stieg und somit auch die Hitze in meinem Kopf.

Man man.
 
Da flog meine Tür auf, jemand schaute kurz rein, jemand mit einer großen schwarzen Waffe in der Hand, und verschwand wieder. Die Tür fiel langsam wieder hinter ihm zu. Dieser Jemand trug so was wie eine Maschinenpistole, das konnte ich noch erkennen, grobe Kleidung und einen Bart.
 
Und jetzt?

Es wurde ruhiger. Ah, den Geräuschen nach trieben die zwei, ja, es mussten mindestens zwei sein, alle meine Kollegen im Meetingraum zusammen.
 
Ok.

Leise erhob ich mich vom Stuhl. Unschlüssig, ob ich durch das Fenster abhauen sollte oder etwas unternehmen, lugte ich durch die Tür. Nur keinen Lärm machen.
Der Flur war leer. Unser Büro hatte nur sechs Räume plus Meeting Raum. Neben meinem Büro befand sich die Küche, daneben das Klo. Auf dem Flur lagen Stühle, Papiere und eine Aktentasche samt auf dem Boden verteilter Ordner. Es musste einige meiner Kollegen erwischt haben, die grad zum Kunden wollten.
 
Links von mir standen die Türen offen, keine Bewegung. Hören konnte ich vom anderen Ende lautes Sprechen. Boshaft, vorwurfsvoll. Schnell schlüpfte ich in die Küche, öffnete die Geschirrschublade und schnappte mir ein Küchenmesser. Immerhin etwas.
 
Zurück auf dem Flur ging ich Richtung Meeting Raum. Als dort die Tür aufflog, sprang ich in die Tür zum Klo.

"Richard! Komm endlich!" schrie jemand.

Vom Klo, also vor mir, kam ein genervtes "Ja ja!" zurück. Die Tür zum Toilettenraum öffnete sich, mit dem Rücken zu mir kam jemand heraus und drehte sich zu mir um. Überrascht blickte er mich, immerhin stand er unmittelbar vor mir, entsetzt starrte ich zurück. Er war unrasiert, sein Atem ging schnell, er roch nach Urin, Schweiß und billigem Aftershave.
 
Um ihn dann, zu meinem Erstaunen, vor mir zusammenbrechen zu sehen. Verwirrt schaute ich ihn an, wie er vor mir zusammensackte. Mein Blick fiel auf das blutige Küchenmesser, dass ich vor mich gehalten hatte. Er war mittenrein gelaufen.
 
"RICHARD!"
 
Ehe der Verletzte antworten konnte, grunzte ich so was wie eine Antwort, trat dem Mann ins Gesicht, zerrte ihn ins Klo und schnappte mir seine Waffe. Eine MP5. Sie war fertig geladen und entsichert.
 
Dem Mann rammte ich mein Knie mehrfach ins Gesicht, stopfte ihm hastig ein Handtuch in den Mund und schloss die Tür. Fast wäre ich auf der Blutlache, die sich langsam ausbreitete, ausgerutscht.
 
Mit der Maschinenpistole in der Hand, trat ich auf den Flur. Leer.

Aus dem Meetingraum hörte ich aufgeregte Stimmen.
"Sie haben mein ganzes Vermögen vernichtet! Ich habe all mein Geld bei Ihnen angelegt, jetzt ist nichts mehr davon da! Dafür müssen Sie büßen!"
 
Mein Chef schien etwas erwidern zu wollen, ein klatschendes Geräusch und sein schmerzhaftes Aufstöhnen sprachen dafür, dass der Anführer die Antwort nicht hören wollte.

Die MP an der Schulter trat ich langsam vor. Einzelne Kollegen konnten mich schon sehen und machten große Augen. Ein Mann in grober Kleidung und Bart lugte auf den Flur, schaute mir erstaunt in die Augen, riss seine Waffe hoch und ich drückte ab.
Die Salve traf, jedenfalls die ersten Kugeln. Zwei nein drei, rissen Löcher in die Rigips Wände.
Der Bärtige wurde herumgewirbelt, drehte sich um die eigene Achse und fiel dann um wie ein Baum.
 
"MIKE!" kam es aus dem Meetingraum.
 
Die Blicke meiner Kollegen sprachen Bände. Einige Gesichter wechselten die Farbe passend zur weißen Wand. Mit einem beherzten Sprung stand ich in der Tür, zielte auf den letzten Mann und sprach schnell und hart:
 
"Zwei Möglichkeiten: Waffe runter oder du stirbst!"

Die berühmte Stecknadel hätte man selbst auf unserem dicken Teppich hören können. Niemand atmete. Lange Sekunden starrten wir uns an. Dann begann er ganz langsam die Arme zu heben.
 
Die MP hielt ich fester im Arm und den Finger am Abzug.
 
Langsam, viel zu langsam, hoben sich die Arme um dann Explosionsartig zu seiner Waffe greifen zu wollen um diese hoch zu reißen.

Mein Finger zog den Abzug durch, ohne, dass ich darüber nachdachte. Der Mann vor mir wurde durchgeschüttelt wie eine lachende Marionette, Löcher perforierten die Kleidung und als mein Magazin leer war, quoll Blut aus zahlreichen Wunden des Oberkörpers.
 
Mit einem erstaunten Gesichtsausdruck kippte er gegen die Wand und rutschte daran herunter, ein bizarres rotes Muster verbreitend.

Ruhe. Immer noch saßen alle still da und starrten mich an. Irgendwo im Hintergrund hörte ich eine Polizeisirene. Entschlossen richtete ich mich auf. Prüfte den Puls des Mannes, der neben der Tür lag, tot. Eine Patronenhülsen klimperten eine leise Melodie des Todes, als ich aus dem Meetingraum trat um zur Toilette zu gehen.

Die MP hatte ich mit einem Magazin von der Leiche vor der Tür nachgeladen. Ja, der Mann auf dem Klo lebte noch. Noch. Kurz zuckte mein Lid. Kurz zuckte mein Finger. Nein, ich mochte ihn nicht erschießen.
 
In meinem Kopf drehte sich alles. Denken fiel mir immer schwerer. Das Erlebte brachte meinen Verstand, mein Gewissen, meinen ganzen Körper in Aufruhr. Tausende Gedanken, keiner klar. Wie ein alter kranker Mann bewegte ich mich, dabei überall Halt suchend.
 
Fußgetrappel hinter mir. Erstaunte Ausrufe und Order nach Verstärkung drangen an mein Ohr. Polizei, vermutete ich und trat wieder auf den Flur. Zwei Streifenpolizisten, mit gezogenen Waffen und mehr als verdutzten Gesichtern, starrten mich an um dann sofort ihre Pistolen in meine Richtung zu halten.
 
"WAFFE RUNTER!" brüllten beide.
 
Nun war ich es, der sie verwirrt anstarrte. Die MP hatte ich längst vergessen. Sekunden vergingen. Mein Gehirn verarbeitete das gesagte wie eine Schnecke.

"WAFFE RUNTER! SOFORT!"

Matt ließ ich den Kopf hängen und stierte auf die MP. Wie einen Fremdkörper schüttelte ich sie ab, so dass sie klappernd zu Boden fiel.

Die Beamten, jeder eng an der Wand und leicht geduckt, näherten sich langsam und ich wunderte mich, dass sie sich drehten. Nein, ich drehte mich. Mein Kreislauf hatte aufgegeben, die Beine versagten den Dienst. Mit einer langsamen Drehung brach ich auf die Kniee, fiel dann um wie ein nasser Sack.

Hektische Stimmen, Weinen, Schreie und eilige Schritte drangen nur noch wie durch Watte zu mir durch. Kaum in der Lage, meinen Blick zu wenden, ließ ich mir Handschellen anlegen, die bald darauf wieder abgenommen wurden. Ich wurde aufgehoben, wegetragen. Licht, viel zu hell. Angenehme Schwärze lullte mich ein.

Mein letzter Gedanke war: "Ich habe zwei Menschen getötet."

© ist und bleibt beim Autor dieser Zeilen. Nachdruck, Verbreitung, Kopie und Veröffentlichung nur gegen Nachfrage.
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Mittwoch, 23. September 2015

Wunschreisen

Meine Fähigkeit erlebte ich zum ersten Mal, als ich mitten in der Pubertät war. Diese Zeit war für mich eher anstrengend, weil ich ständig das Gefühl hatte, dass mein Körper sich komplett im Umbau befand. Was umgebaut wurde, konnte ich nicht sagen, nur das.
So litt ich vor mich hin, träumte oft von Wärme und Sonne und der Liebe eines hübschen Mädchens.
 
Bei einem dieser Tagträume blätterte ich gelangweilt in einer Zeitschrift. Bei dem Bericht über eine einsame, griechische Insel blieb ich hängen und stellte mir vor, wie es wäre, wäre ich dort. In diesem Tagtraum versunken verlor ich mich regelrecht. Anders kann ich es nicht beschreiben.
 
Intensiv starrte ich auf das Bild, malte mir aus, wie schön es wäre, die Sonne auf meiner von Akne gezeichneten Haut zu spüren, nachdem ich im Salzwasser gebadet hatte. Ich hatte gehört, das hilft gegen Akne. Immer weiter sponn ich diesen Gedanken, träumte und verlor mich.
 
Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich eine Art Ziehen spürte. Dann blickte ich mich um und saß am Strand.
Weißer Strandsand vor, steile Felsen hinter und dunkles Wasser neben mir. Leise rauschten die Wellen an den Strand. Erste Sterne hingen am Himmel.
 
Sie können sich mein Erstaunen vorstellen. Und meine Überraschung. Und dann kam die Panikattacke, die ich nicht vergessen werden. Ich schrie, als hätte jemand ein Messer in meinen Bauch gerammt. So ungefähr fühlte es sich für mich auch an. Nur, dass dieser Jemand noch mit Stacheldraht meinen Hals zuschnürte.
Irgendwann lag ich schweißgebadet im Sand, atmete schwer in den Sand, den ich aus meinem Mund spucken musste, erbrach mich, was mein Gesicht sofort warm umspülte und die Kotze in meine Nase und Augen trieb.
 
Schwer erhob ich mich, meine Arme und Beine schienen nicht mir zu gehören, waren wie Gummi.
Ich schleppte mich zum Wasser, wusch mich und war versucht meinen Mund mit dem Meerwasser auszuspülen. Diesem Wunsche konnte ich gerade noch widerstehen.
 
Kneifen, wie es vielfach in den Romanen gemacht wird, brauchte ich mich nicht. Ich hatte mir den Kopf ein einem Stein gestoßen, die Beule zeugte von der Echtheit meiner Anwesenheit. Der Kotzesee und meine nassen Klamotten auch.
 
Noch völlig durcheinander, versuchte ich mich zu orientieren und zu verstehen, was passiert ist.
Je mehr ich mich umschaute, desto mehr erkannte ich Sachen von dem Bild, das ich mir so intensiv anschaute. Also hatte ich mich hierher geträumt. Wäre mir nicht so elend zumute, wäre das ja fast lustig gewesen. Und ich war wohl auf der griechischen Insel.
"Wie komme ich hier wieder weg?"
 
Da ich mich hierher geträumt hatte, konnte ich mich vielleicht wieder zurückträumen.
 
Der Gedanke war gut, nur war ich so nervös, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. So ging ich schwimmen. Noch heute lache ich bei dem Gedanken, dass ich, zum ersten Mal gesprungen, nicht zurück konnte und schwimmen ging.
Aber es half. Das relativ kühle Wasser brachte mich auf andere Gedanken, lenkte mich ab und erfrischte mich.
Hey, ich war in Griechenland. Das musste ich doch nutzen.
Nach dem Bad setzte ich mich, nackt wie ich war, an den Strand, schloss die Augen und dachte an mein Zimmer zu Hause. Ich stellte mir mein Bücherregal vor, meinen Schreibtisch, den Stuhl davor, mein Bett. Besonders mein Bett malte ich mir besonders intensiv aus, kuschlig und warm und weich.
 
Es klappte nicht sofort. Es brauchte einige Übungen, so ganz ohne Bild, bis ich das Ziehen spürte und mich auf mein Bett wieder fand. Herrlich. Ok, ich war nackt, das war blöd. Meine Klamotten lagen in Griechenland. Das Teufelchen gewann. Nach einem kurzen Schluck aus der Wasserflasche schnappte ich mir das Photo und dachte mich zurück an den Strand.
 
Dieses Mal ging es etwas schneller. Nur wenige Minuten schaute ich auf das schöne Bild von der griechischen Küste und verspürte das Ziehen. Etwas entfernt von meinen Klamotten fand ich mich wieder. Einige Meter daneben war noch der Kotzesee. Schnell sammelte ich die Sachen ein, setzte mich hin und dachte an mein Bett.

Ein zufälliger Zuschauer hätte gesehen, wie aus dem Nichts ein nackter junger Mann auf dem Strand erscheint, schnell die herumliegenden Sachen einsammelt, sich mit den nackten Hintern
im Schneidersitzauf den Strand setzt, kurz die Augen schließt und wieder verschwindet.
Wieder zu Hause, atmete ich erst mal durch, gab mir eine Ohrfeige und kniff mich. Eigentlich war das nicht notwendig, denn es klebte immer noch Sand an meiner Haut, der sich langsam löste und sich auf meinem Bett verteilte.
 
Ich beschloss, heute keine Experimente mehr zu machen. Sicher ist sicher.


Der zweiter Sprung

Am nächsten Tag überlegte ich, ob es nur ein Traum war oder ob ich wirklich auf dieser tollen Insel war, beschloss vorerst keinen weiteren Versuch zu unternehmen, bevor die Schule nicht zu Ende ist.

Die Schule war langweilig wie immer. Wieder zu Hause, quälte ich mich durch die Hausaufgaben, aß zu Abend und verzog mich auf mein Zimmer. Jetzt hatte ich Ruhe.

Ich zog den Reisekatalog hervor und vertiefte mich in das bekannte Bild. Das Ziehen kam viel schneller und schwupps fand ich mich am Strand wieder. Herrlich.
Weißer Sand, die untergehende Sonne, das Meer, das junge Mädchen neben mir, erste Sterne und ... Moment!
Ein Mädchen?
Entsetzt starrten wir uns an.
Sie mich, als sei ich ein Geist.
Ich sie, weil ich mich ertappt fühlte.
Sie stand halb hinter mir und hatte auf jeden Fall gesehen, dass vorher der Strand leer war. Verdammt!

Lange Augenblicke starrten wir uns an. Dann lächelte ich schüchtern und brachte ein "Hallo." hervor.

Sie antwortete mir irgendetwas auf griechisch, was ich nicht verstand. Dann fing sie an, zu reden wie ein Wasserfall. Ich fragte auf englisch, ob sie mich verstehen könne, leider war ihr englisch sehr schlecht. Immerhin.

Erst erklärte ich ihr, das ich kein böser Mensch war, dann, was ich hier mache. Mit Händen und Füßen redete ich, malt Bilder in den Sand und radebrachte vor mich hin. Sichtbar schwer fiel es ihr, mir zu glauben. Mir fiel ein, dass ich es ihr zeigen könne.
Ich wies sie an, zu warten, konzentrierte mich auf das andere Ende der Bucht und war kurz darauf dort. Ein leiser Aufschrei hallte zu mir herüber.
Nun konzentrierte ich mich auf das Mädchen und wenig später stand ich unmittelbar vor ihr. Mit großen braunen Rehaugen starrte sie mich an. Man, sie war bildschön, mein Alter und ich fühlte ein Kribbeln im Bauch, dass ich vorher so nicht kannte.

Nun ja, beim Kribbeln blieb es nicht. Wir küssten uns und viele wilde Küsse später lagen wir auf dem Strand und liebten uns. Was für eine Nacht.
Als die Sonne den Horizont wieder heller werden ließ, verabschiedete ich mich von ihr und war schnell zurück in meinem Zimmer. Mir blieben noch knapp zwei Stunden Schlaf bis mein Wecker mich aus einem schönen Traum riss.

Der Schultag war anstrengend. Nicht nur, weil ich so hundemüde war, nein, ich dachte auch immer an meine kleine griechische Perle. Die Mädels aus meiner Klasse hatten soeben viele Punkte verloren. Zumal einige sich gaben, als seien sie die hübschesten Mädels auf der Welt. Innerlich kotzte ich ihnen vor die Füße.

Da wir heute keine Hausaufgaben aufhatten, schlief ich erst mal eine Runde. Danach sprang ich wieder auf den griechischen Strand.
Und war allein.
Mehrere Stunden wartete ich, doch sie kam nicht.
Traurig sprang ich zurück um mir sofort den Katalog zu schnappen und ein anderes Ziel zu suchen.


Wohin als nächstes?

Rügen. Hmm, eher langweilig. Kopenhagen? Unspannend. Sylt? Never! Wenn, dann Ostsee! Riga. Naja, erst mal nicht darüber. Die Alpen? Brr, zu kalt. Legoland! JA!

Schnell vertiefte ich mich auf das Bild, besonders auf den Weg vor den Legobauten und fand mich vor einem großen Legoindianer wieder.
Spärlich beleuchtet lag der Park still da. Gemütlich ging ich durch die Landschaften und genoß die Ruhe. Bis plötzlich hinter mir jemand auf dänisch etwas rief. Da ich weder griechisch noch dänisch spreche, vermutete ich nur, dass ich stehen bleiben solle. Das tat ich aber nicht und flitzte los. Schnell um einige Ecken rum, über flache Legolandschafte und zuletzt einen Flughafen. Schließlich konnte ich mich verstecken, Luft holen und dachte an mein Zimmer.
Schnelle Schritte kamen näher.

Ruhter Atmen! Ruhiger Atmen!
Mein Zimmer! Denk an das Zimmer, das Bett!

Als ich die Augen öffnete, sah ich Taschenlampen aufleuchten, schon recht nahe.
Wieder schloß ich die Augen, versuchte, die Wachleute auszublenden, dachte an mein warmes Bett und fühlte das Ziehen.

Schwer ausatmend fand ich mich auf meinen Bett wieder.
"Oh man! Ich muss besser aufpassen."
Aufgezogen wie ein HB-Männchen schritt ich in meinem Zimmer auf und ab. Hin und her gerissen, ob ich das nun lustig oder beängstigend finden sollte, lief ich hin und her und überlegte, wie ich nun fortfahren könne. Oder ob mir vielleicht Gefahren drohen?

Was, wenn ich in einem Vulkan lande?
Ach, egal. Dann ist's vorbei.

So grübelte ich eine Weile vor mich hin und den Schalk im Nacken, sprang ich einfach mal in den Keller, um mir eine Flasche Saft zu holen. Es gelang. Ich wurde immer besser, immer schneller. Die ganze Aktion dauerte nur wenige Minuten. Zu Fuß wäre ich schneller gewesen, jedoch machte es so sehr viel mehr Spaß.

Am nächsten Nachmittag fragte mich meine Mutter verwirrt, ob ich gestern spät abends nochmal im Keller gewesen wäre. Sie hatte die Flasche gefunden.

Ok, besser aufpassen!

Sprungreisen

In den nächsten Tagen sprang ich immer weiter. Über Internet suchte ich mir tolle Bilder, lud sie in Vollbild auf den PC und sprang dahin, nachdem ich sie nur wenige Sekunden betrachtete.
Herrlich!
Fast jeder der Orte, die bing.de täglich zeigte, besuchte ich persönlich. Ich war in der russischen Steppe, in der finnischen Tundra, in der Wüste, leider auch im Atlantik, die Insel Pitcairn verfehlte ich um einige Meilen, war in Kanada mitten im Grünen und zuletzt auf Mallorca. Ja, billig, ich weiß, aber da wollte ich schon immer mal hin.
Für mein schmales Budget war Ballermann grad gut und ich konnte das gebrauchen. Und die Mädels waren einfache Beute.

Beim Thema Geld fiel mir etwas anderes ein. Tresore! Vielleicht könnte ich in einen Tresorraum eindringen, mir Geld "borgen" und dann verschwinden.

So suchte ich nach Bildern von Banktresoren.
Die anfängliche Suche war weniger erfolgreich. So beschloss ich, einfach mal Banken direkt zu besuchen und mir die Tresore zeigen zu lassen. Das stellte sich als weniger interessant heraus, als gedacht. Das sind ja alles Schließfächer, da fehlen mir die Schlüssel.

Nun ja, da würde sich sicher was finden.

Als ich einige Tage später in Lehrerzimmer war um einen Bericht abzugeben, sah ich die dortige Kaffeekasse.
Am nächsten Tag machte ein Gerücht die Runde, dass die Kaffeekasse gestohlen worden wäre.
Das passierte in meinem Umfeld jetzt öfter. Vereinskassen wurden geleert, kleinere Läden in der Mittagspause beraubt, ohne das jemand den Laden betrat und vereinzelt verschwanden Pakete aus Paketlieferwagen.

Ich erfreute mich an neuem Geldzugang, verfügte über einen neuen PC und diversen Sachen, die ich bei ebay verscherbelte.

Das war ein Fehler!

Polizei im Hause

Irgendwann klingelte es an der Tür, schwere Schritte polterten die Treppe hoch und die Polizei stand in der Tür. Mein Glück war, dass ich schon fast alles verkauft hatte und mein geklautes Geld in einem Schließfach aufbewahrte. Der Schrecken war trotzdem groß. Man wies mir nach, einen geklauten PC verkauft zu haben. Ich gab an, den selber gebraucht von einem Fremden angeboten bekommen zu haben, wollte dann aber doch lieber Geld, statt des PC. Somit war der PC und das Geld weg, mein Ruf angekratzt, denn das sprach sich leider rum, dass die Polizei bei mir war, jedoch passierte weiter nicht viel.

So sprang ich erst mal wieder in der Welt herum, klaute Dollars und schaute mir spannende Ecken an und Angst, entdeckt zu werden, hatte ich immer weniger.
Selbst, wenn ich mitten auf einer Straße landete, achtete kaum jemand auf mich. Ich musste nur schnell weitergehen und so tun, als sei alles normal.
Zumindest klappte das in großen Städten wie New York oder Paris sehr gut. In kleinen verträumten Orten war das schwieriger, da musste ich mir vom Bild eine Ecke suchen, die ruhig zu sein versprach.

Sprung via Satellit

Bald probierte ich, ob die Sattelitenaufnahmen von den Kartendiensten mir auch helfen konnte. Das lief aber nicht so gut. Irgendwie lenkten mich die Bilder ab und, schlauerweise, wählte ich als Ziel einen See, ich konnte die Höhe nicht bestimmen. So sprang ich und landete in gefühlten tausend Metern Höhe, es wären wohl "nur" zwanzig oder dreißig Meter, in der Luft und fiel wie ein Stein schreiend ins Wasser.
Aua!
Die nächsten Wochen sprang ich erst mal nicht mehr.

Praktisch wurde meine Gabe, als mir die Schulschläger auf dem Weg nach Hause mit gewohnt schlechter Laune entgegen kamen. Ich floh um eine Ecke, sprang hinter eine Mülltonne und war weg.
Am nächsten Tag schauten sie mich verunsichert aus der Ferne an, ließen mich aber in Ruhe.
 
Versuche, die Mädchenumkleiden zu erreichen ohne gesehen zu werden, verliefen nicht so erfolgreich und brachten mir nur ein Gespräch mit dem Rektor ein. Die Toiletten konnte ich besuchen, da ich in die entlegensten Kabine sprang, die ich mir vorher heimlich anschaute, und konnte dann Gespräche belauschen. Mehr war aber nicht drin. Und so spannend waren die Unterhaltungen nicht, meist ging es um tolle Jungs, tolle Lehrer, doofe Mitschüler und Schminke.
 

Ein lebensgefährliches Problem

Eines Abends fiel ich hundemüde ins Bett und schlief fast sofort ein. Im Halbschlaf musste ich wohl die Bilder des Bildschirmschoners betrachtet haben. Darauf liefen die Bilder von der Mars Mission Curiosity ...
 

Alternatives Ende


Vermisst: Seit Dienstag Abend wird der 17jährige Marco S. vermisst. Er verschwand ungesehen aus dem Haus seiner Eltern und wurde seit dem nicht gesehen. Wer sachdienliche Hinweise zum Auffinden von Marco S. hat, wendet sich bitte an die Polizeidienststelle ...

 

Alternatives Ende Zwei


+++ Sondermeldung: Gibt es Leben auf dem Mars? Die Mars-Sonde Curiosity hat die Überreste von menschlichem Gewebe und Knochen gefunden. Auch sowas wie Kleidung scheint vorhanden zu sein. Die Überreste sind jedoch bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die gefundenen Überreste scheinen zu einem regelrecht explodierten Körper zu gehören. Weitere Informationen liegen zur Zeit nicht vor. +++

 

Alternatives Ende Drei

Mein Protagonist kann den Sprung gerade noch abbrechen, hat nun aber Angst vor "gefährlichen" Bildern.
 
 
Was gefällt Ihnen besser?
 
© ist und bleibt beim Autor dieser Zeilen. Nachdruck, Verbreitung, Kopie und Veröffentlichung nur auf Nachfrage.

Zählpixel VG-Wort

Donnerstag, 17. September 2015

Marmeladenkartons sind toll

Wie man sieht, sie untersuchte alles. Und hockte sich auch in alle rein. Auch in vollen Marmeladenkartons, wo die selbstgemachte Marmelade darauf warteten, in den Keller gebracht zu werden.







In der Wäschekiste

Tja, unsere ehemalige Katze Martha ist sehr verspielt gewesen und immer sofort überall hinein geklettert. So auch in den Wäschekorb, den Sie unten sehen, hat sie gleich untersucht.










Mittwoch, 16. September 2015

Stalking ist gefährlich


Tag 1 - Montag


Es fing erst ganz harmlos an. Ein hochgewachsener Mann mit pickeligem Gesicht und roten Augen rempelte ihn auf offener Straße an, dreht sich zu ihm um und fasste sich an die Nase. Er dachte sich nichts dabei und verbrachte einen normalen Tag im Büro. Der Tag war hart, viel Papierkram der langweilig aber hochkonzentriert erledigt werden musste. Bis er abends die Firma verließ, war der Vorfall längst vergessen. Erst auf dem nach Hause weg stutzte er, da ein Junge in kaputten Hip-Hop-Klamotten vor ihm stehen blieb, ihn direkt anstarrte, sich an die Nase fasste und kurz rieb. Da der Junge weiter ging, vergaß er diesen Vorfall bis zum Abendessen auch wieder.

Erschöpft lies er sich zu Hause vor den Fernseher fallen und dachte nur noch selten an die Nasenjungs.

Tag 2 - Dienstag

Morgens erwachte er ausgeruht und fit und genoss seinen Kaffee und das Müsli in Ruhe, bevor er sich auf den Weg ins Büro machte. Gedankenverloren spazierte er durch die eilenden Menschen, Zeit hatte er genug. Er musste plötzlich stehen bleiben, denn die Person vor ihm war stehengeblieben. Lange, blonde Haare die samt Körper herumwirbelten, erregten seine volle Aufmerksamkeit. Hübsche blaue Augen schauten ihm direkt in seine und überrascht stellte fest, das in dieses attraktive Gesicht eine Hand fasste, die die Nase rieb.
“Na toll!” dachte er, “Ist das jetzt eine neue Mode, die ich verpasst habe, oder was soll der Quatsch?” Die junge Frau verschwand und er ging den Rest des Weges, verwirrt und eine leichte Unruhe spürend. Beinahe hätte er die Abbiegung zu seinem Büro verpasst.
Schleppend zog sich der Tag dahin. Ablage hier, Anträge dort, Zahlen da, sein Tag halt. Ein Hobby wäre nicht schlecht, eines wo er sich auspowern konnte. Irgendwas mit Action oder Sport. dachte er bei sich, wenn, ja, wenn er nicht an die drei Gestalten denken musste, die ihre Nasen gerieben hatten. Komisch war das ja schon und trotz des herrlichen Wetters war seine Laune nicht die beste. Als der Feierabend langsam und zäh heran gekrochen war, verließ er die Firma durch den Hinterausgang. Man weiß ja nie. Je länger er ging, je weiter er sich von der Firma entfernte, desto ruhiger wurde er. Hin und wieder schaute er sich um, nichts Besonderes. So ging er weiter. Da passierte es:
Unweit seines Hauses, vielleicht 5 Minuten noch, stand auf der anderen Straßenseite der schmierige Typ in zerrissenen Hip-Hop-Klamotten und starrte ihn an und nur ihn. Irritiert blieb er stehen und blickte beunruhigt auf die Gestalt, die dann sofort die Hand an die Nase hob. Er traute seinen Augen nicht und stand mit offenem Mund da. Der Typ drehte sich, ohne die Miene zu verziehen weg und verschwand im Park. “Scheiße!” war das einzige, was er dachte. Da es nicht mehr so weit war, bog er sicherheitshalber in eine Seitengasse ab um seine Schatten nicht zu seiner Wohnung zu locken. Es war eine typische Verbindungsgasse zwischen zwei größeren Straßen. Werkstätten, Ladebuchten und Müllcontainer in großer Zahl wurden malerisch unterstrichen von Schlaglöchern, lose rumfliegender Müll und streunenden Katzen. Ungefähr in der Mitte dieser heimeligen Hinterhofgasse angekommen, trat vor ihm am Ausgang der Gasse, eine Gestalt hervor, stellte sich mittig hin und fasste sich an die Nase. Es war der Junge in den kaputten Hip-Hop-Klamotten, viel zu großen Hosen und dem BaseCap mit dem geraden Schirm. Unsicher blieb er stehen, was tun? Zurück? Gute Idee. Er drehte sich um und ging die ersten Schritte, da trat auch an dem Ende der Typ von gestern in den zerrissenen Klamotten auf den Weg, stellte sich breitbeinig hin und fasste sich an die Nase. Zutiefst erschrocken schaute er hektisch zwischen seinen beiden Verfolgern hin und her. Er fühlte sich eingekreist, gefangen ohne Fluchtweg. Er kannte diese Abkürzung zwischen den Straßen und wusste, dass es nur die beiden Ausgänge gab, an denen die beiden Freaks standen.
Wie auf Kommando setzten diese sich in Bewegung und verschwanden aus seinem Sichtfeld.
Die letzten Meter bis zur Wohnung verbrachte er im zügigen Schritt und war froh, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Was nun? Polizei? Freunde? Na, die werden mich auslachen, einsperren oder denken ich hab ‚nen Knall. Hab ich einen Dachschaden? Nein! Die Nasenleute habe ich gesehen. FUCK! Erst mal einen Schnaps und dann entspannen. Nur war an Entspannung nicht zu denken. Unruhig ging er in seine Wohnung auf und ab. Bei zwei Zimmern und 45 Quadratmetern war hier nicht viel zu laufen und als beim fünfte Mal in der Küche angekommen, fluchte er laut. “Ich lasse mich doch nicht von Halbstarken einschüchtern und nervös machen, das wäre doch gelacht! Ich kenn die nicht mal.” Also ab vor den Fernseher mit einem Bier und ruhiger werden. Wenn es so einfach wäre. Zwar lenkten das Bier und der Fernseher ab, doch die Gedanken kreisten immer wieder um die Nasenleute. Die Gesichter huschten in die Werbebilder, legten sich über die Models und verschwanden einfach nicht. Erstaunlich, mit wie wenig Aufwand man einen Menschen so der Art aus der Fassung bringen konnte. Das Programm im Fernsehen plätscherte dahin und der Wunsch ins Bett zu gehen wuchs. Dort stellte sich leider auch kein Schlaf ein. Ruhelos drehte er sich von einer Seite auf die andere, gähnte, rollte und fluchte.

Tag 3 - Mittwoch

Die ganze Nacht, so hatte er den Eindruck, schlief er kaum und wachte entsprechend entnervt vom Wecker klingeln auf. Der Kaffee war zwar stark, half aber nicht und die heiße Dusche tat gut, brachte aber kaum Leben in seinen verschlafenen Körper. Umständlich verlief der Versuch, sich anzukleiden, ständig gehorchte die Kleidung den Gesetzen der Schwerkraft und selbst die Tür, sonst immer ganz offen, lauerte ihm mit ihrer schmalen Kante auf. Sein Kopf schmerzte davon noch, als das Haus verließ. Die Sonne strahlte mit dem freundlichsten Sonnenschein, die Vögel zwitscherten als gäbe es kein Morgen mehr und der Himmel hatte ein unschuldiges blau, dass es eine Freude war. Erneut fluchte er, zum wievielten Male schon an diesem Morgen?
Auf dem Weg zur Arbeit holte er sich an einem Kiosk einen viel zu teuren aber starken Kaffee und einen Schokoriegel. Immer wieder schaute er sich um, schaute in alle Seitenstraßen. Lauernd betrachtete er jeden Fußgänger als potentielle Gefahr, sich öffnende Türen als Angriff. Nervös blickte er auf Tore  Eingänge und es passierte - nichts. Gar nichts. Niemand achtete auf ihn, niemand rempelte ihn an, niemand fasste sich an die Nase.
Im Büro das gleiche, nichts ungewöhnliches, keine besondere Arbeit, immer der gleiche Kram. Sein neue Kollegin fragte ihn, ob er schlecht geschlafen hätte, er sähe so blass und müde aus. Die gebrummte Antwort war nicht nett aber deutlich. Als der Abteilungsleiter sich dann vor dem Kopierer an der Nase kratzte, wäre er beinahe vor Schreck über den Mülleimer gestolpert, so hatte ihn diese Bewegung aus dem Tritt gebracht. Doch hatte dies nichts mit denen der Nasenleuten zu tun und der Chef schaut ihn an, als sei er nicht ganz dicht.
Der Feierabend kam heute schneller, als gewünscht. Beim Anziehen und Sachen packen ließ er sich viel Zeit. Das Kribbeln im Nacken wurde mit jedem Schritt zum Hauptausgang größer. Sein ganzer Körper war angespannt wie eine Bogensehne. Der leichte Schweißfilm auf der Stirn machte ihm seine Nervosität bewusst. Entschlossen ging er zum Ausgang und endlich durch die Tür. Sich umschauend blieb er einen kleinen Augenblick stehen. Nichts, niemand stand irgendwo und wartete auf ihn. Nur der übliche Feierabendverkehr, lauter Menschen, die auch nur nach Hause wollten, etwas essen, fernsehen und schlafen. Also weiter.
Heute wählte er Seitenstraßen, belebt zwar, aber neben den eigentlichen Hauptwegen. Immer wieder wechselte er die Straßenseite, denn nur so konnte er sich wirklich unauffällig umschauen  und sicherstellen, dass ihn niemand verfolgte.  Schritt für Schritt kam er seiner Wohnung näher. Bisher konnte er niemanden sehen und die Unruhe wuchs. Kurz vor der Wohnung fing er an zu laufen und schloss so hastig die Haustür auf, dass er den Schlüssel erst noch verlor. Er sprang geradezu die Treppen hoch und warf die Tür hinter sich zu. Ein erleichtertes aufatmen. Zu Hause. Bescheuert! dachte er, Sich so aus der Ruhe bringen zu lassen. “Erst mal was essen und ein Bier, dann schauen wir weiter.” sprach er zu sich selbst und ging daran, den Plan umzusetzen. Feierabend, Fernsehen, Flaschbier und Filzpantoffeln waren bisher für ihn immer eine entspannte Variante der Erholung gewesen, heute half es nicht. Die Nasenleute liefen in der Werbung, in den Nachrichten und auf dem Bierlabel. Die Couch wurde unbequem und hart, der Nacken tat weh, schließlich erhob er sich stöhnend, einen Fluch ausstoßend, der selbst die frechen Pennäler auf dem Weg morgens hätte erröten lassen. Gedankenverloren ging er zum Fenster und schaute hinaus. Nur noch wenige Menschen liefen durch die Straße, ein Radfahrer, ein Mann mit Hund, der mit gelangweilter Haltung dem Hund beim Kacken zuschaute und eine dicke, junge Frau auf der anderen Straßenseite stand. Langsam schaute er die Straße rauf und runter bis sein Blick wieder bei der Dicken hängen blieb. Er sah sie an, sie sah zu ihm hoch. Die Blicke trafen sich und wie in Zeitlupe fuhr ihre Hand zur Nase und rieb sich daran. Er stand wie vom Donner gerührt da, verlor fast die Flasche aus der Hand, Hitze stieg in ihm auf und kalter Schweiß stand auf der Stirn. Ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit kroch seinen Rücken hoch. Unten auf der Straße ging die Frau langsam davon und verschwand um eine Straßenecke aus seinem Blickfeld. Übelkeit kroch seinen Hals hoch, er hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen. “Was zur Hölle …?” aber eine Antwort kam ihm nicht.

Tag 4 - Donnerstag

Die Nacht war anstrengend gewesen. Schlaf war nicht sein Begleiter, höchstens ab und an fielen die Augen zu, nur so lange bis ein vermeintliches Geräusch ihn wieder aufschrecken lies. Einen Narren schalt er sich und stand auf um sich einen Kaffee zu machen und sehr heiß zu duschen. Was gestern half, kann heute ja nicht schlecht sein. Guter Gedanke, doch Schlafmangel lässt sich so leicht nicht vertreiben, musste er feststellen. Hartnäckig blieben die Augen trocken und müde, der Kopf schmerzte gemütlich vor sich hin.
Die Sonne lachte gehässig vom Himmel, auch heute zwitscherten die Vögel fröhlich und schrill in sein Ohr, dass es eine quälende Freude war. Dem schreienden Kind wollte er am liebsten den Hals umdrehen, so schmerzte das Gebrüll. Seine Sachen schnappend, die Jacke überwerfend verließ er die Wohnung und schaute sich vor der Haustür um. Niemand zu sehen. Er hatte eine Idee, welche er nach Feierabend umsetzen wollte. Und er wollte etwas recherchieren und einigen Freunden ein paar Fragen stellen. So voller Pläne ging er müde und gereizt in die Firma. Trotz des pochenden Kopfes startete er seine Arbeit, auf dem Weg in die Firma war nichts passiert.
Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort in der Stadt wurde ein Eintrag in einem geheimen Forum gemacht:
Absender: Poolitzer
Betreff: Das Objekt wird nervös :-)
Nachricht:
Hoi Chummers!
Das Objekt wird langsam unruhig.
Tattoo hat dem Objekt gestern noch einen Schrecken eingejagt,
als es sie auf der Straße vor seinem Haus sah.
Es schaute noch mal aus dem Fenster raus,
als sie schon los wollte.
Was für ein Erfolg! Gut gemacht, Tattoo!
Weiter so Leute, diesmal schaffen wir es vielleicht schon schneller, als vier Wochen.
Haltet euch ran, übertreibt aber nicht.
Greetz Poolitzer
Antwort
Absender: Schlagergott
Betreff: Re: Das Objekt wird nervös :-) Glückwunsch!
Nachtricht:
Hoi Tattoo!
Sehr cool! Schön abgewartet und Geduld gezeigt. Du schaffst das! Vorgestern hat es mich angestarrt wie ein Auto. LOL Sehr geil, musste an mich halten, damit ich nicht laut los lache. Wie geil! Wir kriegen ihn. Nur nicht durchdrehen. Zu schnell wird auffällig.
Cya Schlagergott
Derweil wurden in der Firma einige Mails an Freunde verschickt. Ebenso recherchierte er nach Schreckschusswaffen und Pfefferspray. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Die Müdigkeit machte ihm zwar arg zu schaffen, sein Chef war auch nicht gerade eine Hilfe und meckerte heute besonders viel an ihm rum. Nicht, dass das was besonderes war, aber heute traf es besonders hart und auf fruchtbaren Boden. Am Abend verließ er die Firma durch einen Nebeneingang, den kaum jemand kannte und nutzte. So verschwand er zwischen den Leuten ungesehen von einem jungen Studenten mit Spitznamen Poolitzer, welcher ihm fröhlich in der Nähe der Firma auflauern wollte. Zwei Stunden nach dem üblichen Feierabend des Objektes gab er auf und bewegte sich in Richtung dessen Wohnung. Zu spät, schimpfte er mit sich, das Objekt war wohl schon drin. Ärgerlich, dachte er, heute wollte er so gern einen drauf setzen. Es war doch wichtig, das Objekt bei Laune zu halten. Der Stresslevel musste hoch gehalten werden, sonst würde es sich vielleicht entspannen. Dieses Mal wollen sie den Deutschlandrekord von vier Wochen brechen. Er konnte den Leader der anderen Gruppe eh nicht ausstehen. So ein abgefuckter Medizinstudent. Poolitzer wollte mit seinen Leuten einen sehr schwer zu knackenden Rekord von knapp einer Woche aufbauen, das würde diesem aufgeblasenen Medizinmann lehren, dass die angehenden Psychologen mehr drauf hatten. Und eine Woche wäre ein Rekord, den so schnell niemand brechen könnte.
Als er zu Hause in seiner Wohnung war, schaute er sich seine Einkäufe an. Pfefferspray, Pistole und Munition. Jeweils eine Packung Platz- und Gaspatronen. Und zwei Ersatzmagazine waren dabei. Den Teleskopschlagstock wollte er sich erst später bei Bedarf kaufen. Er lud die Waffe fertig und machte sich dann sein Leibgericht: Spaghetti mit Tomatensauce. Heute war ein Feiertag.
Nach dem Essen, das ihm sehr gut tat, ging er mit einer Flasche Bier in der Hand auf den Balkon und schaute sich den frühabendlichen Himmel an. Die Vögel waren ruhiger, die Sonne sank langsam gen Horizont, aber immer noch war es recht hell. Einige Kinder spielten auf der Straße, die letzten Fahrradfahrer fuhren nach Hause. Bei der Gestalt, die dann um die Ecke kam, wurde im sofort mulmig im Magen. Sie trug eine schwarze, glatte Lederhose, ein T-Shirt und hatte schwarze Haare mit einem auffälligen weißen Streifen darin. Der Typ blickte sofort in seine Richtung, auch als er weiter durch die Straße ging. Ihre Blicke trafen sich. Er oben auf dem Balkon, der Typ unten auf der Straße. Direkt vor dem Haus blieb der stehen und fasste sich, fast hatte er es erwartet, an die Nase. Hastig eilte er in die Wohnung um seine Kamera zu suchen, doch als er den Balkon erneut betrat, war der junge Mann mit den schwarzgestreiften Haaren fort. Schade. Er bräuchte Bilder, wenn er etwas beweisen wollte.
Mit dem Pfefferspray an der Seite und der Pistole unter dem Kopfkissen schlief er deutlich ruhiger ein, die Waffe wollte er erst mal in der Wohnung lassen, das Spray sollte reichen.
Noch am späten Abend gab es einen Eintrag im Forum:
Absender: Poolitzer
Betreff: Das Objekt ist nervös!
Nachricht:
Hoi Chummers!
Heute lief das Objekt gleich voller Angst vom Balkon
in die Wohnung als ich die Aktion durchführte.
Ein Erfolg also! Wir haben ihn langsam weich.
Nun dran bleiben. Twink!
Du warst erst einmal dran, jetzt noch mal ran,
aber von der Ferne aus, dann ist Ordog dran.
Greetz Poolitzer

Tag 5 - Freitag

Geschlafen hatte er dieses Mal besser, geholfen hatte es eher wenig, bei zwei durchwachten Nächten. Immerhin war die Laune besser, der Kaffee schmeckte und das Müsli ausnahmsweise auch. Seine Laune sank rasch wieder auf einen Nullpunkt, als er direkt vor der Haustür die blonde Frau vom ersten Tag wieder sah. Sie blickte ihn von der anderen Straßenseite aus an, fasste sich an die Nase und ging dann zur Straßenecke. Trotz des Verkehrs überquerte er direkt die Straße und lief der Frau hinterher. Kaum um die Ecke gebogen, blieb er stehen. Nichts, niemand war zu sehen, die Straße war, bis auf einige parkende Autos leer, weit entfernt fuhr ein Radfahrer und eine Gruppe Kinder wuselten zur Schule. Er fluchte laut und ging wieder zurück seinem Weg zur Arbeit nach.
In der Straße stand ein Kleinwagen, alt und unauffällig. Darin saß, tief auf den Beifahrersitz gebückt, die junge Frau. Sie blickte erleichtert in den Rückspiegel, als sie sah, dass das Objekt wieder zurück ging. Auf eine Verfolgungsjagd hatte sie gar keine Lust. Und diese Schlappe, schwor sie sich, würde sie auch niemandem erzählen.
Das Objekt selbst nahm sich vor, den Schlagstock zu kaufen, denn nun hatte es Angst. Wenn die Nasenleute schon so offen und morgens sich an ihn ran machten, dann wurde es gefährlich. Sollte er doch zur Polizei gehen? Die würden ihn auslachen und einen Angsthasen nennen. Oder doch? Schaden konnte es nicht. Die Antworten auf seine Mails waren alles andere als erbaulich. Einer fragte, ob er zu viele schlechte Soaps gesehen hätte, ein anderer, ob er wieder Horrorfilme geschaut hätte, die seien ihm noch nie bekommen. Der dritte war der Meinung, er solle sich endlich mal wieder was zum Vögeln suchen, das bräuchte er jetzt wohl dringend. Nun, so falsch war das nicht, aber helfen würde das nicht gegen die Leute, die ihm auflauerten.
Wut und Verzweiflung packten ihn. Hilflos sann er über eine Lösung nach, doch ihm fiel nichts ein. Müsste er jetzt den Rest seines Lebens ertragen, dass ständig jemand vor ihm stand und sich an die Nase fasste? Der Kloß in seinem Hals wurde dicker, Tränen drohten die Augen zu verlassen. Er wurde wütend darüber, auf sich selbst und seine Mutlosigkeit. In Gedanken schalt er sich einen Idioten und ein Weichei. Seine Faust trommelte auf den Tisch, das Büro dröhnte von den Schlägen, so laut, dass seine Kollegin erstaunt ins Büro schaute, sich aber schnell wieder trollte, als sie seinen Blick sah.
Ist wohl nicht sein Tag heute. dachte sie.
Ohne Essen, zu wenig getrunken und unglücklich ging er nach Hause. Den Schlagstock hatte er völlig vergessen, so sehr nahm ihn das Erlebte mit. Und gerade als die Stimmung auf dem Tiefpunkt war, erwischte ihn der nächste Angriff umso heftiger: Er wollte gerade in die letzte große Hauptstraße biegen, die zu ihn seiner Straße brachte, als vor ihm ein Junge stand mit bleichen Gesicht, schlechter Haut und unzähligen Pickeln. Die rötlichen Augen und das fettige schwarze Haar machten den Anblick nicht besser. Mitten im Weg stand der Bengel und gerade als er schon leicht ausweichend die Richtung ändern wollte, fasste sich der Junge an die Nase und grinste ihn boshaft und triumphierend an. Dann drehte er sich um und lief um die Ecke davon. Wie versteinert stand er da, unfähig sich zu rühren. Kälte kroch seinen Rücken hoch, Schweiß stand auf der Stirn. Sein Atem ging schwer.
Nach einigen Minuten die Ewigkeiten währten, war er erst in der Lage nach Hause zu gehen. Das Hemd war nass, ihm war kalt, der ganze Körper angespannt und völlig augelaugt. Und das alles nur, weil ihn Leute verarschten, die er gar nicht kannte. Warum das alles? Was hatte er denen getan?
Eine halbe Stunde später im Forum
Absender: Ordog
Betreff: GOTCHA!
Nachricht:
hoi chummers!
hab ihm am arsch gekrigt. man, war der platt! stahnd muggsmeuschen still da, wie ein erschrekter hamster. ROFL!!!! war saugeil, glaub der war geschokt ohne ende. GOIL!!!!! wann darf ich wieder?
cu ordog - der killer :-)))))
Etwa eine Stunde später folgte die erste Antwort:
Absender: Poolitzer
Betreff: Re: GOTCHA!
Nachricht:
Hoi Ordog!
Gut gemacht, du wartest erst mal ab!
Halt dich an das besprochene Vorgehen.
Jetzt kommt der nächste, der das Objekt angeht.
Wir wollen es nicht überreizen aber dran bleiben.
Denk dran: Es ist das Objekt, nicht er!
Greetz Poolitzer
PS: Ordog, gewöhne dir endlich eine ordentliche Schreibweise an!
Es gibt auch eine Taste zum Groß- und Kleinschreiben.
Derweil plagten das Objekt, einige Kilometer weiter in seiner Wohnung andere Sorgen. Er wurde verfolgt. Fakt. Er wusste nicht warum. Fakt. Er konnte es kaum verhindern. Fakt. Er hatte Angst. Scheiß Fakt. Er hatte eine Waffe. Guter Fakt. Er wusste nicht, ob er sie einsetzen würde. Blöder Fakt. Und er war sauer. Sehr guter Fakt! Ihm würde schon etwas einfallen, dachte er sich. Nur was? Auf den Balkon wollte er nicht mehr. Oder doch? Ein Foto wäre gut. Und ganz sachlich alles aufschreiben, was bisher passiert war. Gedacht, getan nahm er sich einen Block Papier und schrieb alles auf, auch dass er sich eine Waffe und Pfefferspray besorgt hatte. Das schlechte Schlafen, die Angst, das Gefühl der Hilflosigkeit, die Wut, alles schrieb er auf und fühlte sich deutlich besser danach.
Dann suchte er sich seine Kamera, stellte heimlich durch ein Fenster den Zoom schon mal auf die richtige Entfernung ein und holte sich ein Bier. Ja, heute würde es ein hübsches Bild geben, dachte er sich. So stand er auf dem Balkon, trank mit der einen und hielt mit der anderen Hand die Kamera versteckt.
Nichts … nichts passierte. Nur nervige, spielende Kinder, Männer mit Hunden, die sie Gassi führten, wer wen führte war oft nicht sofort ersichtlich, Radfahrer und Zeitungsboten. Sonst nichts. Verärgert ging er in die Wohnstube und legte sich eine DVD ein. Es war ein Zeichentrickfilm, aber die heitere Stimmung übertrug sich nicht auf ihn. Erst das dritte Bier half und beruhigte seine Nerven. Viel besser fühlte er sich aber nicht. nachdem der Film zu Ende war, ging er erst das Bier wegtragen, dann auf den Balkon. Unten stand die dicke, jüngere Frau von vor zwei Tagen. Sie blickte zu ihm hoch, fasste sich im gleichen Moment, als ihre Blicke sich trafen, an die Nase und schaute ihn weiter an. Sofort lief er in das Zimmer, holte die Kamera und visierte über den Rand des Balkons. Die Frau stand noch da und war im Begriff zu gehen. Er bekam ein Bild von ihrem Profil hin, worin er einen leichten Schrecken zu erkennen glaubte. Aber ein Beweis war das nicht, dass wusste er. Immerhin ein Anhaltspunkt. Er schaute sich das Bild einige Zeit auf seinem PC an, doch er kannte diese Frau nicht. Hässlich war sie nicht, aber sehr dick für ihre Größe. Und dann auch noch hautenge Kleidung. Woher kennt die mich?
Etwa 15 Minuten später ein Eintrag im Forum
Absender: Tatto
Betreff: Schlag zwei
Nachricht:
Hoi Chummers!
Hab dem Objekt, wie abgesprochen einen weiteren Schlag versetzt. Dieses Mal ist er wie ein erschrecktes Eichhörnchen vom Balkon gesprungen. War schon lustig. Und das auf die Entfernung. Bin dann gleich gegangen.
Tattoo
PS: Wisst ihr ob das Objekt eine Kamera hat?
Etwa zwanzig Minuten später folgte dieAntwort:
Absender: Poolitzer
Betreff: Re: Schlag zwei
Nachricht:
Hoi Tattoo!
Gut gemacht!
Für heute reicht es.
Morgen kommt der nächste dran.
@Ordog, kannst du ihm morgens auflauern?
Was soll die Frage nach der Kamera?
Greetz Poolitzer
Absender: Tatto
Betreff: Re: Re: Schlag zwei
Nachricht:
Nur so. Tattoo

Tag 6 - Samstag

Samstag zu arbeiten ist blöd. Aber was hilft das heulen? Was muss das muss. Hatte zumindest immer seine Mutter gesagt. Ausgehen wäre nicht schlecht. Mal wieder unter Leute, vielleicht ‘ne Frau abschleppen. Ja, schöner Gedanke, immer wieder unterbrochen von Leuten, die sich an die Nase fassten. So krieg ich nicht mal einen hoch, dachte er bei sich und raffte sich auf. Müsli, Kaffee gegen die Müdigkeit und los. Ein wenig steif stapfte er die Treppe runter und machte die Tür auf. Direkt davor stand der junge Kerl in den Hip-Hop Klamotten. Riesiges Basecap mit geradem Schirm, was sehr dämlich aussah, die fettigen langen Haare und dazu die dreckigen Fingernägel, die sich langsam wie in Zeitlupe samt Hand auf dem Weg zur Nase befanden. Die Hand rieb die Nase, fiel herab und der Hip-Hopper drehte sich siegessicher grinsend von ihm weg und ging Richtung Straße.
“Was soll das, du Arsch?” rief er mit heiserer Stimm hinterher, doch der Junge fing einfach an zu laufen und war weg, bevor er selbst die Straße erreicht hatte. Ich darf mich einfach nicht so überraschen lassen. dachte er bei sich und spielte in der Tasche mit dem Pfefferspray. Wütend über sich selbst, die Nasenleute und seine Schwäche ging er nach Richtung Firma. Er wäre fast wieder ruhig gewesen, wenn nicht kurz vor dem Haupteingang der Typ mit den schwarzweißen Haaren und der Lederhose ihn mit einem Pfiff auf sich aufmerksam machte. Er drehte sich zu ihm um, der Typ fasste sich an die Nase und verschwand in der Menge die gen Bus eilte. Ihm sank das Herz in die Hose, die Knie wurden weich, schwer atmend stützte er sich an der Wand ab. Es brauchte Minuten, bis er wieder klar denken und ruhiger Atmen konnte. Langsam und mit wackeligen Beinen ging er ins Büro. Beiläufig fragte ihn seine Kollegin, ob es ihm nicht gut gehen würde. Er bat sie einfach um ein Glas Wasser, es sei der Kreislauf. Er wäre schon die Tage so komisch, meinte sie. Er schaute sie prüfend an, sie lächelte. Hübsch ist sie, dachte er kurz.
“Wollen Sie wirklich wissen, was los ist?” fragte er nun tonlos. “Ja, sonst würde ich ja nicht fragen.” war ihre Antwort.
„Setzen Sie sich, es ist eine längere Geschichte. Ungefähr eine Woche lang.“
Stumm hörte sie zu, runzelte hier und da die Stirn und meinte am Ende sachlich:
“Sie haben ein Problem.”
“In der Tat.” war sein trockener Kommentar.
“Wenn das alles stimmt, was Sie erzählen, dann wird Ihnen wohl kaum jemand glauben.” sagte sie.
“Die Polizei kann nichts machen, ein Freund hatte ähnliches mal berichtet, er ist Polizist, und eher wird man von Ihnen vermuten, Sie wollten sich wichtigmachen oder haben einen an der Klatsche.”
“Danke.” sagte er müde. “Genau das denke ich auch. Und inzwischen zweifel ich auch langsam an meinem Verstand.”
“Wir können ja nach Feierabend einen Kaffee zusammen trinken.” schlug sie vor “und alles nochmal in Ruhe besprechen.”
Er runzelte die Stirn und blickte sie prüfend an.
“Nur, wenn Sie wollen natürlich. Wenn es Ihnen helfen würde.” beeilte sie sich zu sagen und wurde rot.
“Ja ... ja natürlich, gern. Helfen würde es auf jeden Fall.” haspelte er schnell eine Antwort und sie verabredeten sich für den Feierabend vor dem Firmenausgang.
Absender: Poolitzer
Betreff: Doppelschlag
Nachricht:
Hoi Chummers!
Uns ist ein Doppelschlag gelungen!
Erst hat Schlagergott dem Objekt
DIREKT vor der Tür aufgelauert,
es hätte beinahe gekotzt,
meinte er.
Dann konnte ich ihm einen weiteren Schlag versetzen.
Unmittelbar vor seiner Firma.
Wir wollen ja nicht,
dass es sich dort sicher fühlt.
*evil grin*
Hab es danach beobachtet.
Scheiße sah es aus,
stand eine ganze Weile dumm rum.
Der Schlag hat also auch gesessen.
Greetz Poolitzer
Absender: Schlagergott
Betreff: Re: Doppelschlag
Nachricht:
Hoi!
Ja, war cool. Grad hat es die Tür aufgemacht und stand direkt vor mir. Man, war das Objekt überrascht. Hammer! Dachte, es kotzt mir vor die Füße. Hab ich gelacht. Herrlich. Den kriegen wir. Nur dran bleiben sollten wir jetzt.
Schlagergott
PS: Roy Black ist nicht tot!
Absender: Ordog
Betreff: Re: Re: Doppelschlag
Nachricht:
hoi chummers!
cool!!!!!sehr goil!!!! wir krign ihn!!!! ich mach jetz auch wider was! ich will es auch in den arsch treten.
cu ordog - der killer
ps wer is roy blak?
Absender: Poolitzer
Betreff: Re: Re: Re: Doppelschlag
Nachricht:
@Ordog:
NEIN! Du wartest! Twink ist jetzt dran, sie ist vor Ort und wird zu einem weiteren Schlag ausholen. Dann prüfen wir, was es macht. Der nächste Schlag wird dann kurzfristig besprochen. Haltet euch bereit!
Greetz Poolitzer
Derweil in der Firma war das Objekt nervös. Auf der einen Seite waren die Nasenleute ihm nun sehr dich aufgerückt. Auf der anderen Seite freute er sich auf das Käffchen mit der Kollegin und genoß fast die Nervosität, die das Date hervorrief. Sie hatte in den letzten Wochen schon öfter mal so nett gelächelt. Bah, wie ein junger Schüler, reiß dich zusammen! dachte er bei sich. Die Zeit kroch unfreundlich langsam vor sich hin, die Arbeit half gar nicht und war langweilig. Wieder und wieder dachte er an die Kollegin, die Nasenleute und mögliche Hobbys. Sport wäre eine Idee. Irgendwas mit Selbstverteidigung  sicher nicht verkehrt.
Endlich machte er sich auf den Weg zum Haupteingang. Seine Kollegin stand schon draußen in der Sonne und genoss sichtlich die Wärme. Sie lächelte ihn strahlend an als er auf sie zuging.
“Da sind Sie ja. Schön! Wo wollen wir hin?” fragte sie mit einem Strahlen im Gesicht, dass er unruhig wurde.
“Hmm … keine Ahnung.” antwortete er. “Bisher war ich nur in meiner Gegend immer mal in einem Café. Hier kenne ich mich nicht so aus.”
“Das macht nichts, hier um die Ecke ist ein schönes kleines Eiscafé, da gehen wir hin.” entschied sie und ging los.
Er schaute ihr schmunzelnd hinterher, erfreute sich an ihrer Figur und begann die ersten Schritte hinter ihr her, da fiel sein Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Eine ihm mittlerweile bekannte, blonde junge Frau stand dort, sah ihn ruhig an und fasste sich an die Nase. Vor Schreck erstarrt blieb er stehen, wurde bleich und wackelig in den Knien. Unfähig sich zu bewegen, stand er da und schaute der Blonden hinterher, die triumphierend grinsend zwischen den Fußgängern verschwand.
“Wo bleiben Sie?” fragte seine Kollegin. Sie schaut aus einigen Metern Entfernung zu ihm. Erst verwundert dann erkennend, dass etwas passiert sein musste, blickte sie sich um, konnte aber niemanden erkennen.
“Ihr Fanclub?” fragte sie trocken. Sein schwaches Nicken war Antwort genug.
“Ihnen geht’s wirklich Scheiße.” sagte die Kollegin überraschend und hart, so dass er lachen musste.
“Jaaahhh.” kam die gedehnte Antwort. “Schön ist das nicht, bin ja nicht mal ein Star.”
“Nein, und niemand holt sie da raus.” meinte sie schmunzelnd. “Was soll’s, essen wir erst mal ein Eis und schauen weiter.”
Er nickte schlapp und zusammen gingen sie den Rest zum Eiscafé. Erst als er eine Weile gesessen hatte, entspannte sich sein Körper. Das Lächeln war weniger verkrampft. Der zweite Espresso brachte seine Energie zurück und das Eis schmeckte vorzüglich, seine Kollegin strahlte mit der Sonne um die Wette. Kaum traute er sich, sie anzuschauen. Er wollte sich gerade wohl fühlen und vollends entspannen, da stand wieder die Blonde auf der anderen Straßenseite. Die Kollegin sah sie zuerst, tippte ihm an den Arm worauf hin er auch in die Richtung blickte und erbleichte.
“Ihr Fanclub ist hartnäckig.” sagte sie kühl und musterte die junge Frau auf der anderen Seite. Diese rieb sich kurz an der Nase und verschwand dann zügig aber nicht hektisch im Gewühl der Menschen.
“JA!” rief seine Kollegin neben ihm aus.
“Was?” fragte er erschreckt zurück.
“Hat geklappt!”
“Was?” fragte er sichtlich verwirrt.
“Ich habe ein Bild von ihr gemacht mit meiner Handykamera. Nicht Preisverdächtig aber ausreichend für eine Identifizierung für später mal.”
“Aaahh.” sagte er schlapp. “Das ist gut, von einer anderen habe ich auch schon ein Bild gemacht.”
“Da war’n es schon mal zwei.” grinste sie. “Das Bild maile ich Ihnen zu. Und ich frage mal ein paar Leute.”
“Ja, danke. Sagen Sie …” fing er an.
“Ja?”
“Warum tun Sie das?” fragte er mit unsicherer Stimme.
“Vielleicht, weil Sie mir leid tun, vielleicht, weil ich Sie nett finde.” antwortete sie ruhig.
“Nett?” grinste er dann und zwinkerte, “Schon klar, nett”.
Derweil im weltweiten Netz:
Absender: Twink
Betreff: Zeugin
Nachricht:
Hallo ihr bösen Chummers!
Es gibt eine Zeugin. Das Objekt hat im Eiscafé gesessen, wo ich einen zweiten Angriff gestartet habe. Es saß dort mit einer Frau im gleichen Alter, ich glaube sie hat mich gesehen, aber nichts gemerkt. Das Objekt wiederum schien es voll zu erwischen, wie schon eine Stunde vorher vor seiner Firma. Das Objekt war echt von der Rolle und konnte sich kaum bewegen. Musste mir das Lachen verkneifen. Wenn wir so weiter machen, schaffen wir den Rekord.
Grüße an alle! Twink
10 Minunten später im geheimen Forum:
Absender: Ordog
Betreff: Re: Zeugin
Nachricht:
hoi Twinki!
cool gemacht!!! das rockt!!! ich geh auch noch ma los auff ihn, der soll schlecht schlafen. Meine Karre is auch wieder fit
cu ordog - der killer
5 Minuten später:
Absender: Poolitzer
Betreff: Re: Re: Zeugin
Nachricht:
@Ordog:
Warte verdammt noch mal ab! Wir müssen jetzt bedacht vorgehen. Das Seil darf nicht überspannt werden. Die Belastung des Objekte soll hoch sein aber nicht zu hoch. Und wenn du nicht aufpasst, passieren Fehler. Also warte ab! Ich will erst noch wissen, wer diese Frau beim Objekt war.
Bitte bestätigen, Ordog!
Greetz Poolitzer
20 Minuten später:
Absender: Poolitzer
Betreff: Re: Re: Zeugin
Nachricht:
@Ordog
Hast du das gelesen?
Greetz Poolitzer
Derweil machte sich ein hochgewachsener junger Mann mit bleicher, pickeliger Haut und langen schwarzen Haaren daran, sein Auto zu besteigen und zum Objekt zu fahren. Er bereitete sich vor, als zöge er in den Krieg. Schwarze Stiefel, schwarze Militärhose mit Beintaschen, am Gürtel Messer und Taschenlampe. Das schwarze T-Shirt wurde von einer natürlich ebenso schwarzen Weste verdeckt, welche auch aus einem Militärversand kam. Seine schwarze Schirmmütze zog er tief ins Gesicht, er hoffte damit seine Brille und seine Pickeln ein wenig verbergen zu können. Ein Bart wollte ihm einfach nicht wachsen, so sehr er die paar Haare auch rasierte und zu züchten versuchte.
Der Wagen war sein ganzer Stolz. Zwar kaum jünger als er selbst und stark verrostet aber seins. Ok, seine Eltern bezahlten den Wagen ab, aber das störte ihn nicht. Für einen Kleinwagen hatte die Kiste relativ viel PS, was er unheimlich cool fand und in Gedanken beim Fahren immer Rennen fuhr. Ordog bildete sich ein, er sei wirklich der coole Runner aus dem Roman und verfolge einen Wetworkauftrag oder würde von den Cops verfolgt und müsse diese abhängen. Jetzt freute er sich, dem Objekt wieder eines auszuwischen.
Keiner aus der Gruppe kannte das Objekt. Die Wahl war völlig zufällig auf es gefallen. Sie hatten es anfangs reihum beschattet, was schon aufregend genug war. So fanden sie raus, wo es wohnte, arbeitete und was es am Wochenende so trieb. Sie wollten den Stalkingrekord brechen. Andere Gruppen hatten es bereits geschafft, innerhalb von wenigen Wochen Objekte derart zu bedrängen, das diese Selbstmorde begingen. Der aktuelle Rekord lag bei 3 Wochen und 6 Tagen. Poolitzer, Psychologiestudent, hatte die bisherigen Gruppen interviewt und die Vorgehensweisen genau analysiert. Daraus hatte er dann einen Plan entwickelt, der ermöglichen sollte, das Objekt in weniger als zwei Wochen zum Selbstmord zu bringen. Im geheimen hoffte er, dass sie es in knapp sieben Tagen schaffen würden. Das wäre dann kaum zu schlagen und sie zu Helden auf lange Zeit machen.
Poolitzer war schon so einer, dachte Ordag beim Fahren. Schlau und gerissen genug, den anderen Gruppen die Infos zu entlocken. Cooler Typ. Und eiskalt. Als sie sich damals alle getroffen hatten um das Vorgehen zu besprechen, hatten alle Angst vor ihm gehabt. Tattoo, seine Freundin, meinte hinterher, der sei sehr berechnend gewesen. Aber cool.
So in Gedanken kam Ordog in der Straße vom Objekt an und parkte in der Seitenstraße, die auch Twink schon genutzt hatte. Er schaute sich unauffällig um und beobachtete das Haus. Nichts zu sehen. Ein guter Runner kann warten! dachte er bei sich und stellte sich so hin, dass er nicht auffiel aber die Straße und die Wohnungsfenster vom Objekt sehen konnte.
In der Wohnung saß das beobachtete Objekt und freute sich seit Tagen das erste Mal wieder. Zumindest ein wenig. Die Kollegin hatte er nach Hause gebracht, sich für die Hilfe bedankt und als Antwort ein Lächeln bekommen, was ihm den Magen zusammen zog. Auf dem Weg nach Hause hatte er lächelnd an sie denken müssen. Es war schön, nicht mehr ganz allein zu sein mit der Belastung. Den Abend verbrachte er vor dem Fernseher. Schon der erste Film war so langweilig und einschläfernd, dass er müde zu Bett ging. Immer wieder hatte er die Blonde, seine Kollegin, die Dicke, seine Kollegin, das Pickelface und seine Kollegin vor Augen. Er war wütend, dass die Erinnerung an seine Kollegin ständig abriss.

Tag 7 - Sonntag

Endlich schlief er doch ein um sofort wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. Was war das? Hatte er sich getäuscht? Es hatte geklingelt. Zweimal! Um diese Uhrzeit? Er rührte sich nicht. Sein Atem ging schnell, das Herz pochte.
Wieder klingelte es zwei Mal. In der stillen Wohnung dröhnte es wie Glockengeläut.
Langsam stand er auf und ging zur Gegensprechanlage. Er drückte auf den Sprechknopf. “Ja?”
Nichts.
Keine Antwort.
Eine Vorahnung keimte in ihm auf. Mit steifen Beinen und im Hals hochkriechender Angst ging er zum Fenster und schaute hinunter auf die Straße. Da war er.
Der schlaksige junge Mann mit den schwarzen langen Haaren stand dort und fasste sich an die Nase. Dann reckte er sogar den Mittelfinger zur Wohnung hoch. Erstaunt blickte das Objekt runter und wurde wütend. Doch der schwarz gekleidete verschwand um die Ecke.
“VERDAMMTE SCHEISSE! WAS HAB ICH EUCH GETAN?” rief er laut aus.
Einige Minuten verstrichen und niemand war unten in der Straße zu sehen. Mit weichen Knien ging er zurück zum Bett und legte sich hin. Es dauerte lange, bis er sich beruhigt hatte und auf Schlaf hoffen durfte. Grad fielen ihm die Augen zu, die Gedanken fingen an zu verschwimmen, da schellte die Türklingel erneut durch die nächtliche Wohnung.
“GOTT VERDAMMT!” fluchte er und sprang aus dem Bett, rannte zur Sprechanlage und rief hinein:
“Was zur Hölle wollt ihr von mir? Lasst mich in Ruhe!”
Stille am anderen Ende.
Wutschnaubend ging er zum Fenster. Unten, auf der anderen Straßenseite, dieses Mal einige Meter weiter zur Seitenstraße hin, stand der gleiche Typ und fasste sich an die Nase. Gerade so konnte man noch das hämische Grinsen erkennen, bevor die Gestalt in den schwarzen Klamotten um die Ecke verschwand.
An Schlaf war nicht zu denken. Was tun, fragte er sich. Seine Kollegin wollte heute mit Freundinnen feiern, die war nicht zu erreichen. Die wenigen Freunde, die er hatte, waren entweder unterwegs oder mit der Familie weg und um die Uhrzeit will niemand mehr mit Problemen eines Bekannten belastet werden.
“Ich muss hier raus!” sagte er sich und begann sich anzuziehen und einige Sachen zu packen. Nur etwas Wasser und Essen in den Rucksack, die Pistole in das Schulterholster und raus. Nur raus hier!
Mit großen Schritten eilte er die Treppen runter und durch die Haustür. Die Straße war leer, weit und breit kein Lebewesen. Die Nacht hüllte sich in Unschuld. Fluchend spuckte in die Rabatten. Sein Auto stand auf dem Parkplatz, die Ruhe in Metall gegossen. Den Rucksack warf er hastig in den Kofferraum, sprang auf den Fahrersitz, startete den Motor und fuhr mit leicht durchdrehenden Reifen los. Nur weg von der Wohnung, der Seitenstraße und diesen Leuten. Wohin? Egal, erst mal raus aus der Stadt.
Auf der Hauptstraße fuhren noch andere Autos, so dass er das kleine rostige Auto mit dem jungen Fahrer nicht bemerkte.
Ordog grinste breit. Die anderen würden begeistert sein und ihn sicher mit Lob überhäufen. Zweimal hatte er das Objekt wachgeklingelt. Das hatte sich noch niemand getraut. Bestimmt hatte er es jedes Mal dann wachgeklingelt, wenn es grad eingeschlafen war. So wie es geflucht hat, war es schon schön sauer. Toll! Ordog wollte gerade ein drittes Mal zur Türklingel gehen, da ging die Haustür auf. Grad noch konnte er sich in eine dunkle Ecke drücken und beobachten, wie das Objekt zu seinem Wagen eilte.
“Es will abhauen.” murmelte Ordog vor sich hin. “Verdammt! Jetzt kommt meine große Stunde!” Er sah noch, wie das Auto los fuhr und den Parkplatz verließ, da flitzte er zu seinem Auto und nahm die kleine Parallelstraße, ohne Licht und viel zu schnell fuhr er bis zum Ende. Dort bog er Richtung Hauptstraße ab. Hier fuhren mehr Autos, das zwang ihn zwar dazu, das Licht anzumachen, deckte ihn aber auch. Der Pickelige konnte eben noch sehen, wie das Objekt zwischen den Autos beschleunigte. Fast zu schnell bog er ab, dem Objekt hinterher, schnitt zwar die Kurve aber um diese Uhrzeit war nichts los. Ordog achtete immer darauf, dass mindestens ein, eher zwei Autos zwischen ihm und dem Objekt waren. “Wo fährt es denn hin?” fragte er sich laut. Dabei bemühte er sich die Stimme eines irren Serienkillers nachzuahmen, den er mal im Fernsehen gesehen hatte. “Es hat nachts nicht in der Gegend herum zu fahren sondern darauf zu warten, dass es erschreckt wird.” sagte er mit dem gehässigen, herablassenden Tonfall, den er so cool fand. Während der Fahrt tippte er Tattoo eine SMS. Sie dachte, er sei ihr Freund. Soll sie doch, immerhin schläft sie mit mir, das reicht erst mal. Er schrieb ihr, dass er unterwegs war und dem Objekt folgen würde.
Zwei Stadtteile weiter schreckte eine dicke, blonde Frau aus dem Schlaf hoch weil ihr Handy auf dem Nachttisch summte und hell erleuchtet war. Schlaftrunken las sie die SMS, murmelte einen Fluch und überlegte, was sie tun sollte.
5 Minuten später im Forum
Absender: Tatto
Betreff: Das Objekt verlässt das Nest
Nachricht:
Hoi Chummers!
Ordog ist hinter dem Objekt her. Es hat die Wohnung verlassen und ist auf dem Weg raus aus der Stadt. Er verfolgt es grad.
Tattoo
In einem anderen Stadtteil schreckte Poolitzer aus dem Schlaf, weil sein Handy eine Nachricht anzeigte. Er bekam aus dem Forum automatisch eine Mail, wenn jemand dort was schrieb. Leise fluchte er. Das war gar nicht gut. Jetzt war es erforderlich, das Objekt über einen größeren Raum zu verfolgen. Sowas ist aufwendiger als in einer Stadt. Egal, da kümmere ich mich morgen drum. Er machte das Handy aus und rollte sich wieder in seine Decke ein, dachte an Twink, seine Freundin. Morgen besuche ich sie, blöder Weiberabend.
Zur gleichen Zeit am Stadtrand verließen zwei Autos die Stadtgrenzen und fuhren auf eine gut ausgebaute Landstraße. Das Objekt fuhr nun direkt vor Ordog, der einen normalen Abstand halten wollte. Dann kam ihm eine sehr coole Idee.
“Und jetzt holte der Killer zum Schlag aus!” rief er und fuhr dichter auf den vor ihm fahrenden Wagen auf. Dieser schien davon zuerst unbeeindruckt, fuhr nach einigen Minuten aber doch schneller. Ordog blieb dran.
So fuhren sie fast exakt gleich schnell einige Minuten dahin, die dem vorderen Fahrer wie Stunden vorkamen. Plötzlich scherte der Wagen hinter ihm aus, beschleunigte stark und überholte ihn. “Blödmann!” dachte er und fuhr weiter rechts und etwas langsamer. “Immerhin bin ich dich dann los.”
Doch es kam anders. Der Wagen fuhr zwar weiter aber auf gleicher Höhe hielt er kurz die Geschwindigkeit um dann erneut zu beschleunigen. Direkt vor ihm wurde der Überholende langsamer, so dass er bremsen musste.
“Alter, gehst du mir auf den Sack!” fluchte er. Er musste bremsen. Der Wagen vor ihm blieb nun so auf der Straße stehen, dass er nicht vorbeikam.
“Verpiss dich, ich hab andere Sorgen.” rief er und erschrak, als er sah, wer aus dem Wagen ausstieg.
Ordog, der Killer hatte seinen großen Auftritt. Noch beim Überholen hatte er sich an die Nase fassen wollen, doch erstens schaute das Objekt nicht und zweitens fiel ihm etwas Cooleres ein. Er bremste das Objekt geschickt aus, stellte den Wagen quer, stieg aus und schaute direkt zum anderen Wagen. Das Objekt selbst konnte er durch eine Straßenlaterne ganz gut erkennen. Es saß mit offenem Mund da und starrte ihn aus großen Augen an. Möglichst langsam fasste er sich an die Nase. Dreimal rieb er sie und lies den Arm fallen. Dann grinste er so breit über diesen Sieg, dass er hätte schreien können. Ordog konnte sich gerade noch beherrschen und stieg ein. Erst im Auto fing er an zu jubeln. Dem habe ich es gezeigt, das hat gesessen. dachte er. Gemächlich fuhr er davon, er wollte ja nicht den Eindruck einer Flucht erwecken. Kurz nachdem er wieder fuhr, waren die Lichter des Wagens auch weg. Nur kurz wunderte er sich darüber.
Im anderen Wagen saß das Objekt schwer atmend mit schweißnassen Händen die sich um das Lenkrad krallten. “SCHEISSE! SCHEISSE! SCHEISSE!” schrie er und trommelte auf das Lenkrad, schlug seitlich auf den Beifahrersitz und gegen die Türverkleidung. Dabei stieß sein Ellenbogen gegen das Schulterholster. Das Schlagen hörte auf, die rechte Hand glitt zum Pistolengriff und umklammerte ihn. Sein Atem wurde schlagartig ruhiger, der Blick ging zum Rückspiegel, wo die Lichter des schmierigen Typen noch zu sehen waren, der fortfuhr. “Jetzt bist du dran!” sagte er mit kalten Zorn. Das Objekt spürte etwas völlig neues in sich: Adrenalin.
“Nicht mal eilig hat es der Penner.” dachte er und sein Blick wurde hart. Ohne Licht drehte er den Wagen und fuhr wieder Richtung Stadt. Der Wagen vor ihm fuhr in einem normalen Tempo, so dass er gut Abstand halten konnte. Hier, außerhalb der Ortschaften gab es nur selten Laternen und kaum Häuser, die ihn beleuchteten. Erst als einige Autos vor ihm und damit zwischen dem pickeligen Nasenmann und ihm selbst einbogen, schaltete er das Licht wieder ein. Immer wieder fasste er die Pistole an. Sein Blut rauschte im Kopf, das Herz hämmerte aber er fühlte sich gut.
Ordog sang laut und schräg “Wiiiiii aaarrr se schämpiäns off seee wöööörld!” Seine Laune war bestens, er, der Killer, hatte dem Objekt den entscheidenden Schlag versetzt. Er war ein Held, mutig, unerschrocken, ein Sieger eben, ganz klar.
Und Ordog hatte Hunger. Siegerhunger. Tatto schläft schon, dachte er. Egal! Die isst immer was mit. Danach fick ich sie und morgen früh lass ich mich von allen feiern. Geil!
Vom Handy aus orderte er eine Familienpizza zur Wohnung von Tattoo und schrieb ihr eine SMS, dass er gleich bei ihr sein würde. Die leichten Schlangenlinien störten höchstens die anderen Fahrer, ihn nicht, er war ein Krieger!
In seiner Heldenlaune bemerkte er nicht, dass ein Auto von den wenigen die noch unterwegs waren, konstant hinter ihm her fuhr.
Bei Tattoo angekommen, klingelte er sie hoch, gab ihr einen Kuss und erzählte begeistert von seiner Heldentat. Dass nur wenige Meter weiter noch ein Auto einparkte, war ihm nicht aufgefallen.
Unten vor der Tür hielt ein weiteres Auto.
Es klingelte. “Das wird die Pizza sein, Schatz. Machst du das kurz?”.
“Ja.” maulte Tattoo, die, wie Ordog auch, ständig klamm war.
Vor der Tür hatte das Objekt gesehen, welche Klingel sein Verfolger drückte und als der Pizzabote ebenso vor der Tür stand und klingeln wollte, sprach er diesen an.
“Pizza für äh … Meier? Bestens, was macht das?” fragte das Objekt den nur leicht erstaunten Pizzajungen. Selten holten die Leute ihre Pizza unten an der Tür ab. Aber endlich mal nicht zwei oder drei Stockwerke laufen war auch mal schön.
“Ich brauche auch deine Weste und dein Basecap. Sind 50€ ok?”
Der Junge dachte nur sehr kurz nach, zu gering war sein Stundenlohn. So wechselten Pizza, Mütze und Weste den Besitzer und jemand klingelte.
Die Tür summte, der neue Lieferant stapfte die Tür hoch. Eine Wohnungstür stand leicht offen. Eine junge, füllige Frau schaute dem Pizzamann hungrig an. Seufzend fragte sie: “Was kostet es heute?”
“13,50€, ist Rabatt heute.” kam eine ruhige Antwort unter der Mütze hervor. Der Pizzalieferant schaute runter auf den Karton, so dass sein Gesicht verdeckt war. Nur entfernt kam Tattoo das Kinn bekannt vor, aber die Gier nach dem Essen war stärker.
“Ah, dann habe ich zu wenig Geld dabei, Moment.” sagte sie und ging einige Schritt in die Wohnung, der Pizzamann folgte ihr in den Flur.
Es war sehr unordentlich. Überall lagen Klamotten und leere Flaschen herum, ein Werkzeugkasten stand offen in einer Ecke neben einem Stapel Getränkekisten, Mülltüten warteten darauf entsorgt zu werden. Es roch nach abgestandener Luft und Zigarettenqualm. Geld und Pizza wurden getauscht. “Sie finden allein raus?” fragte sie halb umgedreht zur Wohnstube. “Ja, danke.” kam die ruhige Antwort. Tattoo ging zurück zu Ordog, der am PC sitzend einen einen Heldenbericht tippte. Die Wohnungstür klappte laut zu.
“Dem habe ich es richtig gegeben, so richtig eins ausgewischt hab ich ihm. Goil!”
“Was hast du denn gemacht?” fragte sie, den Pizzakarton öffnend.
“Dem Objekt hab ich die ganze Nacht versaut und ihn aus der Stadt getrieben.” lachte er.
“Sogar verfolgt hab ich ihn.”
“Es.” korrigierte sie ihn.
“Ja, verfolgt hab ich das Objekt und von der Straße gedrängt. James Bond wär auch nich besser gewesen.” Er lachte erneut begeistert auf. “ES war richtig fertig. Wie der, es geguckt hat. Krass! Wie ein frisch geficktes Eichhörnchen.”
“Und was hat das Objekt dann gemacht?” fragte sie ihn mit freudig leuchtenden Augen.
“Es ist hinter ihm her gefahren und hat ihn bis in diese Wohung verfolgt.”
Die Stimme kam hinter ihnen aus dem Flur. Beide drehten sich zutiefst erschrocken um, den Mund offen. Sekundenlang sagte niemand ein Wort. Alle drei starrten sich an. Der eine ruhig, die anderen beiden erschrocken wie ein Kind, das beim Stehlen erwischt wurde.
“Scheiße, wer bist du?” fragte Ordog, der sich als erster gefasst hatte.
Ruhig blickte ihn der Mann mit der Pizzamütze an und antwortete ruhig:
“Ich bin das Objekt!”
Erschreckt aufatmend setzte sich Tattoo hin, ihre Knie hielten ihr Gewicht nicht mehr.
“Shit!” sagte Ordog und wollte aufspringen. Doch die plötzlich in der Hand liegende Pistole mahnte ihn, sich wieder entspannt zurück zu lehnen. Nochmals atmete Tattoo erschreckt ein. Mit großen Augen starrte sie ängstlich auf die Pistole.
Finster blickte das Objekt die beiden Menschen an. Sie hatten ihm aufgelauert und verfolgt. Sie hatten ihn um den Schlaf gebracht, nach gesetzt und auch noch Spaß daran gefunden, wie er gelitten hatte.
“Man, wie bist du hier reingekommen?” fragte Ordog, mit gehässigen Seitenblick auf Tattoo.
“Durch die Tür.” war die frostige Antwort hinter der Pistole.
Ruhig nahm das Objekt die Mütze ab, setzte sich auf einen Stuhl und sagte leise:
“Dann erzähl mal!”
“Was man?” raunzte Ordog stupide zurück.
“Was der ganze Scheiß soll.” fachte sein Gegenüber die Antwort zwischen den Zähnen hervor. “Und keine Märchen, ich bin nicht in Stimmung dafür.”
“Ich weiß nicht, was du meinst.” versuchte Ordog es noch, doch das war ein Fehler. Der Mann, den sie das Objekt nannten, sprang auf und brüllte:
“GOTT VERDAMMTE SCHEISSE! ICH WILL WISSEN WARUM IHR MIR DAS ANGETAN HABT!” Es atmete schwer und richtete die Pistole direkt auf das Gesicht von dem jungen Mann in den speckigen Klamotten. Immer noch laut Luft holende zischte es:
“Ich hab echt schlechte Laune und deine Hackfresse kenne ich genauso wie ihre. Ihr habt mir ständig aufgelauert und von der dicken Planschkuh hier habe ich sogar Bilder. Also erzählt mir keinen Müll!” Der Blick, den es Ordog zuwarf ließen ihn tiefer in den Sitz rutschen. Die Mündung der Pistole war nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, Ordog konnte das Waffenöl riechen.
“Sag’s ihm.” hauchte Tattoo leise. “Sag’s ihm einfach.”
Der Seitenblick des Mannes mit der Pistole ließen sie sofort wieder verstummen. Der PC surrte leise vor sich hin.
Langsam und zögernd fing Ordog an zu erzählen. Von der Idee bis hin zur Umsetzung. Die zufällig Auswahl, das erste Beschatten dann der Beginn am Montag.
“Und was wolltet ihr damit erreichen?” fragte ihn dann das Objekt. “Wozu das alles? Nur zum Spaß?”
“J … joah.” kam die zögerliche Antwort.
Die Mündung der Pistole zielte genau in sein Gesicht und so gestand Ordog auch das Ziel der Attacken.
“Es gibt einen Rekord, es hat bei einer anderen Gruppe vier Wochen gedauert, das wollten wir besser machen.” lauernd starrte ihn Ordog an.
“Rekord? Was für ein Rekord?” fragte die Stimme hinter der Pistole. “Was ist das Ziel?”
“Ich … wir also …” stotterte der Schmierlappen unsicher auf dem Stuhl. Sekunden vergingen, niemand sagte etwas. Langsam dämmerte es ihm.
“Ihr wolltet mich in den Selbstmord treiben.” Das war keine Frage sondern eine Feststellung. “Ihr wolltet mich schneller in den Selbstmord treiben als diese andere … Gruppe.” er spuckte das letzte Wort fast aus. “Ja, viel hätte da wohl nicht gefehlt.”
“Wir hätten dich auch nie treffen sollen. Warum bist du überhaupt hier?” ereiferte sich Tattoo in einer plötzlichen Gefühlsregung. Doch der Blick, mit dem das Objekt sie bedachte, brachte sie augenblicklich zum Schweigen. Sie bereute schon, überhaupt etwas gesagt zu haben. Es war, als schaute jemand angewidert auf eine Fliege, die auf einen Haufen Kot sitzt.
“Wer macht da noch mit? Wer gehört zu euch?” Die Frage biss sich durch die angespannte Stille.
Sekunden wurden zu Minuten, so schien es, niemand sagte etwas.
“Ich habe euch etwas gefragt. Ich will wissen, wer da noch zu euch gehört. Wer ist der Boss?”
“Man ey, wir verpetzen die doch nicht. Wir sind doch nicht blöd, oder was?” wagte der schwitzende Bengel auf dem Stuhl vor ihm zu sagen.
Dann ging alles ganz schnell:
Das Objekt, welches all die langen Minuten ruhig da gestanden hatte, ohne sich zu bewegen, sprang plötzlich los, machte einen langen, schnellen Schritt auf ihn zu. Währenddessen wechselte die Pistole die Hand, die jetzt freie Rechte schlug und hämmerte dreimal hart mitten in das Gesicht während die Pistole tief den Kehlkopf eindrückte. Tattoo schrie erschreckt auf, wollte ihrem Lover zu Hilfe eilen, doch ein harter Fußtritt in ihren fetten Bauch brachte sie zum einknicken.
“SAG MIR WER DIE ANDEREN SIND!” schrie der Mann Ordog direkt ins Gesicht. “SAG ES MIR ODER ICH SCHLAG DICH TOT!”
Stöhnend, hilflos, voller Schmerzen starrte ihn der Junge an. Angst kroch in sein Gesicht, eine Scheißangst. Kurz blitzte der Gedanke auf, dass es wohl ein Fehler war, der Gruppe beizutreten und dass er wohl doch kein Killer war. Jetzt, wo das Objekt so vor ihm stand, alles wusste, es keinen Abstand mehr gab, keine Sicherheit, keine Straße, keine Entfernung, jetzt hatte er einfach nur Angst und wusste nicht, ob er das hier überleben würde. Tattoo wimmerte in ihrem Couchsessel, doch die war ihm egal. Er wollte nur raus hier.
“Ich sag’s dir. Ich sag dir alles, was du wissen willst. Sie heißt Tattoo und wohnt hier. Ich heiße T … Ordog und wohne auch hier.”
Bei der Nennung ihres Namens heulte Tattoo kurz auf. “Du wohnst hier? FUCK, du Schisser! Du wohnst nur hier, wenn du mich ficken willst.”
“Ruhe!” befahl das Objekt kalt und drückte die Pistole wieder in die Kehle des vor ihm sitzenden. “Wer noch? Da war ständig so eine Blonde und so ein Typ mit schwarzweißen Haaren.”
“Ja.” stöhnte Ordog auf. “Das sind Twink und Poolitzer. Poolitzer ist der Boss, er leitet alles. Twink kommt hier auch aus der Stadt und ist wohl seine Schnalle. Dann gibt es noch Schlagergott.”
“Was sind das für bescheuerte Namen? Ordog, Poolitzer, Twink, Tattoo, was soll der Scheiß?”
“Ham wir aus’m Roman.” schluchzte Tattoo hinter ihn.
“Na, lesen könnt ihr wenigstens. Menschen scheinen euch ja nicht zu interessieren.”
Zum Entsetzen der beiden schaute sich ihr ehemals so hilfloses Objekt in Ruhe den PC an. Der Mann las das Forum durch, notierte sich alles was er brauchte und schrieb aus Ordogs Handy die Telefonnummern ab. Dann drehte er sich langsam um. Dabei fiel sein Blick durch die offene Tür auf den Werkzeugkasten. Ihm kam eine Idee. Er schaute zu dem Werkzeug, dann zu seinen beiden Aggressoren. Langsam erhob er sich, ging zu dem Kasten und holte sich eine Kombizange heraus.
“Alter, was wird das denn jetzt? Willst du hier auch noch was kaputt machen? Du hast doch jetzt alles.” ereiferte sich Ordog.
“Nein, habe ich nicht. Ich habe noch keine Befriedigung.” kam kalt und ruhig die Antwort, die sie nicht hören wollten. Keiner von beiden ahnte, was er meinte.
“Ich werde euch etwas schenken.” sprach er dann mit tonloser Stimme aus.
“Et … etwas schenken? Was denn?” fragte Tattoo unsicher.
“Euer Leben.” war die Antwort worauf hin sich beide sichtlich entspannten, doch zu früh. “Und eine Erinnerung an mich.”
Die Pistole in der rechten, die Kombizange in der linken Hand machte er einen Satz auf Ordog zu, bohrte diesem, bevor der überhaupt etwas machen konnte, die Kombizange in die Nase. Als der so attackierte die Hände erheben wollte, wurde die Kombizange samt rechtem Nasenflügel wieder zurückgerissen.
Ordog schrie auf. Schmerz, wie er ihn nie vorher gekannt hatte, brannte in seinem Gesicht. Die Schläge vorher waren Streicheleinheiten gewesen in Gegensatz zu dem, was jetzt wie Feuer durch sein Gesicht flutete. Er schrie und wand sich auf dem Stuhl, rutschte runter und ging auf die Knie, brüllend vor Schmerz. Die Hände vor das Gesicht gepresst. Sein Peiniger trat ihm kräftig in die Rippen, so dass er zusammenbrach und vor sich hin weinte und stöhnte.
Ruhig schaute sich der Mann mit den beiden Waffen das Ergebnis seines Tuns an und drehte sich dann ganz langsam zu der dicken Frau um, die entsetzt auf ihren Kumpanen starrte.
Während sie noch den Schreck zu verkraften suchte, hob sie den Blick zu dem in der Mitte des Raumes stehenden Mann. Sekundenlang trafen sich ihre Blicke. Dann sagte sie furchtsam und ahnungsvoll: “Nein! NEIN! Das kannst du nicht machen! Das, das habe ich nicht verdient!”
Die Antwort war ein Blick, welchen sie nie vergessen würde. Und in ihrem Hinterkopf glaubte sie schon zu wissen, was gleich geschehen würde. Mit ihr. Angst lähmte sie. Machte sie weich und kraftlos. Ohne sich bewegen zu können, ja die Kraft zu haben, einen Schritt weg zu wagen, sah sie den Peiniger, der vor Stunden noch ihr Objekt, ja ihr Opfer war, langsam auf sich zu bewegen. Ebenso wie bei ihrem Ex-Freund verschwand die Kombizange in ihrer Nase, kurz spürte sie noch das Kneifen auf ihrem Nasenflügel, dann gab es einen Ruck und ein hässliches reißendes Geräusch und die Hand mit der Kombizange war wieder aus Ihrem Sichtfeld verschwunden. Der Schmerz kam schnell und hart. Tattoo schrie auf, kaum dass sie den Ruck spürte. Ihr Gesicht brannte, Tränen schossen in ihre Augen, sie schrie, stöhnte und heulte, hielt sich die Nase und wand sich vor Schmerz. Blut quoll durch ihre Finger, tropfte auf den Teppich, auf Ihre Kleidung.
Ordog wand sich schon in einer kleinen Lache, die Hände blutverschmiert. Beide bekamen nicht mehr mit, wie ihr Objekt die Fleischstückchen aufsammelte und das Klo runterspülte.
„Esst ihr die Pizza noch? Sie duftet so lecker.“ Fragte ihr ehemaliges Objekt freundlich. „Nein? Na, dann nehm ich sie halt.“ Zusammen mit der Pizza und der Kombizange verschwand ihr Peiniger ohne ein Wort zu sagen.
Die Pizza war noch warm und eine gute Wahl. Die Kombizange hatte er beim Rausgehen an einer Jacke abgewischt. Dass er den PC noch deaktiviert hatte und das Handy von dem Schmierlappen mitnahm, war den beiden Verletzten entgangen. Die waren ja auch mit sich beschäftigt. Diese Egoisten. Nicht mal Tschüss haben sie gesagt. Sei’s drum. Heute würden die wohl eh nicht mehr viel telefonieren und surfen. Zuviel Internet ist ja auch gar nicht gut für so junge Leute. Er schaute sich die Liste derer an, die noch übrig waren. Schlagergott, bescheuerte Name. Twink und Poolitzer. Glaubt der, der bekommt den Preis wirklich? Na, dann auf zum Musikantenstadl. Beim Fahren aß er die Pizza und schaute immer wieder auf einen Stadtplan, damit er sich nicht verfuhr. Was mache ich mit dem? fragte er sich. Na, erst mal hin.
Ohne Zwischenfälle erreichte er sein erstes Ziel, die Pizza hatte nur er halb aufgegessen. Den Rest wollte er sich für die zweite Tour aufheben.
Vor dem Haus stieg er aus und überlegte, was er nun machen sollte. Klingeln würde ja kaum helfen. Ihm kam eine Idee. Die Idee, so blöd wie einfach, setzte er gleich um. Mit dem Handy von dem bleichen Typen mit den langen Haaren rief er den Typen namens Schlagergott an. Es dauerte lange, bis jemand ran ging.
“Ordog, Alter, was ist los? Weissu wie spät das iss?” ertönte eine müde Stimme aus dem Handy.
“Ja, Mann, iss was passiert, lass mich ma rein, iss dringend, ich steh vor der Tür.”
“Fuck! Spinnnst du? Um diese Uhrzeit? Bist du erkältet, oder was’s mit deiner Stimme?”
“Äh, ja, auch. Alder, lass mich nich hängn. Ich brauch Hilfe!”
“Ja, schon gut. Ich lass dich gleich rein. Wart ‘n Moment. Muss mir erst was anziehen.”
“Dange, mann!” Klick.
Knapp eine Minute dauerte es, da surrte die Tür. Er drückte sie auf und stieg die Treppen hoch. Weiter oben hörte er eine Tür klappen. Die Wohnungstür stand offen und ein sehr junger Mann in einer viel zu weiten Hose, Basecap mit geradem Schirm, man sah das bescheuert aus, und billigen Goldkettchen umgehängt stand im Türrahmen. Müde schaute er die Treppe runter. Erstaunt schaute auf die Person, die gar nicht Ordog war. Er musste sichtlich nachdenken bis die Erkenntnis sich in sein Gesicht brannte. Mit weit aufgerissenen Augen wollte Schlagergott in seine Wohnung hechten und die Tür zuwerfen, doch schnelle Schritte und ein Fuß in der Tür verhinderten dies. Die dann in seinem Blickfeld auftauchende Pistole ließen seinen Widerstand im Keim ersticken. Schlagergott hob die Hände und ging von der Tür weg.
“Brav.” sagte die Person, die er als das Objekt erkannte.
“Hallo.”
Schlagergott traute sich nicht zu antworten.
“Freut mich dich kennen zu lernen.” sprach der Mann vor ihm, es klang aber nicht erfreut. „Du bist Schlagergott, richtig? Ich bin das Objekt.” Worte, kalt wie Eis, dazu ein Blick der ihm mehr Angst einjagte als die vorgehaltene Pistole.
“Scheiße! Was willst du?” traute sich Schlagergott nun doch zu fragen.
“Ich möchte dir etwas schenken.”
“Was schenken? Hast du ‘nen Knall?” Schlagergott war sichtlich nervös und völlig durcheinander. Wild überlegte er, was er tun könnte. Ihm fiel nichts ein.
“Doch zunächst einmal gestatte mir eine Frage: Warum nennst du dich Schlagergott und siehst aus wie ein Hip-Hop-Spinner?” Der bezeichnete missverstand den Plauderton und wagte einen Vorstoß:
“Alter, das geht dich gar nichts an. Verpiss dich einfach wieder, ich weiß auch gar nicht, was du hier willst, man!”
Die Antwort kam sofort und überraschend direkt mit der Faust ins Gesicht, knapp unterhalb von Stirn und Mützenschirm. Es knackte ein wenig. Schlagergott schrie kurz auf und hielt sich dann die Nase.
“Man, spinnst du? Ich hab dir doch nichts getan, kaum jedenfalls, und du spazierst hier in meine Wohnung und brichst mir die Nase.”
“Junge, du wärest froh, wenn es dabei bliebe.” gab es die Antwort, die der Mützenträge nicht hören wollte.
Die Pistole wies ihn in die Wohnung. Rückwärts ging er in sein Zimmer. Wo sind die Freunde, wenn man sie mal braucht?
Mit dem Rücken zum Tisch stand Schlagergott direkt an der Kante. Da er nicht wusste, was er tun sollte, fingerte er nervös mit seinen Händen an den Bändern seines Kapuzenpullovers herum.
“Und jetzt?” fragte er unsicher.
“Das willst du nicht wissen. Aber du hast meine Fragen noch nicht beantwortet.”
“W w welche Fragen?” stammelte der sonst so coole Poser. “Ah ach so … ja, naja … den Namen habe ich aus einem Roman, den ich ganz cool fand. So hab ich auch Ordog kennen gelernt.”
Ein kurzes Heben der Augenbraue seines Gegenübers irritierte ihn, er erzählte aber schnell weiter. Vielleicht beruhigte es ihn ja.
“Und und weil ich selber hin und wieder Schlager höre, fand ich das ganz cool.”
“Schon klar. Und dann überlegt ihr euch, wenn wir schon gemeinsam Bücher lesen und Tee trinken, beschatten wir auch fremde Menschen und ängstigen sie zu Tode, nur so zum Spaß, ja?” der Tonfall der Frage war fast, aber auch nur fast ein ironischer Plauderton. Ein fieser Unterton beunruhigte Schlagergott zutiefst.
“Na naja … wir fanden dass alle eine lustige Idee.” meinte er schwach.
“Eine lustige Idee, sieh mal einer an. Macht ja nix, wenn sich dann das belustigte Objekt vor lauter Angst umbringt. Hauptsache der Rekord stimmt, gell?” das letzte Wort hatte eine Bedrohliche Stimmlage bekommen, die Ironie in der Stimme war bitterem Spott gewichen. Schlagergott bekam es mit der Angst.
“Ww ww was meinst du, mit, umbringen? W w wir hatten das nicht geplant.”
“Bemüh dich nicht, ich weiß alles. Poolitzer und Twink besuche ich auch noch.” Bei der Nennung der beiden Namen schaute der Junge mit den zu weiten Klamotten ihn mit großen Augen an.
“Woher?” fing er an.
“Woher ich das weiß? Och, weißt du, Ordog, so nennt er sich doch, ja? Der hat mir allerhand erzählt. War recht gesprächig, nachdem ich ihn davon überzeugt habe, etwas … offener zu sein.”
Beißender Spott unterstrich die letzten Worte, der Mund war zu einem Lächeln verzerrt, nur die Augen lächelten nicht mit und starrten ihn kalt an. Schlagergott schwitzte und ihm wurde kalt.
“Und und was willst du jetzt von mir?” fragte er schwach.
“Wie schon gesagt: Ich möchte dir etwas schenken.” war die Antwort.
“Und was?”
“Erstens: Dein Leben.” Das Objekt stand vor ihm und blickte ihm direkt in die Augen. Der junge Hip-Hopper war nicht sicher, ob das erste Geschenk wirklich so gut gemeint war, wie es klang.
“Und” er schluckte, “Und zweitens?” wagte er dennoch die Frage.
“Eine Erinnerung an mich.” und zu den Worten glitt die freie Linke Hand in die Hosentasche, kam fast sofort wieder heraus mit einer, ja wirklich, einer Kombizange in darin. Irritiert sah ihn der Junge an, konnte nicht glauben was er sah und dachte.
“Was wird das denn?” fragte er unsicher.
“Das willst du nicht wissen aber gleich merken.” war die einfache Antwort die von einem Lächeln begleitet wurde, das Wasser hätte gefrieren lassen.
“Setz dich!” Der Befehl war eindeutig.
Schlagergott wollte das nicht tun, wollte sich wehren, Widerstand leisten. Er machte einen Schritt auf den Mann mit der Kombizange zu, doch der hatte das wohl geahnt. Die Waffe in der rechten hob sich sofort, daher achtete er nicht auf die linke, die hart mit der Zange in sein Gesicht schlug.
“ARGH!” fluchte er und fiel fast von allein in den Stuhl zurück.
Was jetzt folgte, würde er nie vergessen. Wie in Zeitlupe sah er die Zange auf sein Gesicht zukommen, wie sie sich brutal in sein rechtes Nasenloch bohrte. Überrascht wollte er die Hände zur Abwehr heben, doch die Pistole grub sich in seinen Schritt. Schnell brannte das zufassen der Zange in seiner Nase, es gab einen harten Ruck der von einem grässlichen Reißen begleitet wurde, dann feuerte der Schmerz in sein Gesicht, ihm wurde schwarz vor Augen und rutschte vom Stuhl. Seine Hände presste er vor das Gesicht, auf die Stelle, wo die Nase mal war. Warme Flüssigkeit bedeckte die Finger.
“Na, das war ja ein schönes Stück.” hörte er durch einen Nebel aus Schmerzen und Brennen.
“DU ARSCHLOCH!” brüllte Schlagergott, hörte seine eigene Stimme kaum. Blut floss in den Mund, benetzte Zunge und Zähne.
“Das Stück werde ich gleich mal entsorgen. Nicht, dass noch jemand auf falsche Gedanken kommt und das wieder annähen will.” lächelnd wurden diese Worte ins Gehör des Jungen gespült, dieser jedoch war kaum in der Lage sie zu verstehen. Nur entfernt hörte er die Klospülung laufen. Schluchzend, weinend und sich vor Schmerz windend lag er am Boden, dieser war mit Blut befleckt.
“Bemüh dich nicht, ich finde allein raus.” Begleitet von einem freundlichen Winken verschwand sein Peiniger aus der Wohnung. Schlagergott brach endgültig zusammen, unfähig auch nur irgendetwas zu tun.
Früh am Morgen des gleichen Tages summte das Handy von Twink. Zu früh für einen Sonntag, zu früh um wach zu werden. Doch das Handy summte immer weiter vor sich hin. Schließlich schaute sie, wer anrief.
“Oh nein, Ordog, dieser Spinner. Es ist einfach zu früh, um mit dem zu reden.” seufzte sie und drückte den Anrufer weg. Neben ihr lag ein gut aussehender junger Mann, den sie gestern beim Mädelsabend kennen gelernt hatte. Sie kuschelte sich an ihn und freute sich auf die kommenden Stunden mit ihm, bis sie ihn wieder vor die Tür setzen würde. Vielleicht schrieb sie sich seine Handynummer auf.
Erneut summte das Handy. Nicht schon wieder. Anrufer unbekannt zeigte das Diyplay an. Nun ging sie ran. “Ordog, du Spinner, ich weiß doch, dass du das bist. Was soll der Scheiß. Es ist Sonntag und viel zu früh!” schimpfte sie gleich los.
Stille am anderen Ende. “Ordog?”.
“Nein!”
“Und wer stört mich da?”
“Ich bin das Objekt.” kam die Antwort ruhig und gelassen.
“Ich bin auf dem Weg zu dir und freue mich darauf, dich kennen zu lernen.”
Entsetzt schaute Twink auf das Handy.
“Das ist ein Scherz, oder?”
“Nein, ist es nicht. Du warst die dritte im Bunde, die mir aufgelauert hat mit dieser bescheuerten Nasengeste. Nun komme ich vorbei, um dir etwas zu schenken.” Der Dauerton deutete das Ende des Gespräches an.
“Scheiße!” sagte sie laut. Ihre Gedanken rasten wild durch den Kopf. Was tun? Weg! Das Objekt schien zu wissen, wo sie wohnte. Also weg. Hastig stand sie auf und zog sich an. Nebenbei weckte sie den, zugegeben, attraktiven Körper mit der tollen Ausstattung und brauchbarem Durchhaltevermögen und packte hastig Sachen in eine Tasche. Ungefähr alles zugleich. Der Typ maulte vor sich hin, sie schrie ihn nur an und warf ihm seine Sachen vor die Füße. Ein eiliger Blick aus dem Fenster verriet ihr nichts. Nur dem unten stehenden Objekt eine Menge. Sie zerrte den Typen aus dem Bett und scheuchte ihn aus der Wohnung. Danach atmete sie noch einmal durch, packte einige letzte Sachen ein und rannte auch das Treppenhaus hinunter.
Er sah erst kurz das Gesicht der hübschen Blonden hinter einem Fenster auftauchen und sofort wieder verschwinden, dann folgte einige Minuten später ein junger, gut aussehender Mann, der müde und verwirrt das Haus verließ.
“Sieh mal einer an, das ist aber nicht ihr Preisträger.” murmelte er vor sich hin. Der Typ verschwand mit seinem Auto.
Etwa zwei Minuten verstrichen und die blonde Frau hastete aus der Tür, eine Tasche über dem Arm und den Autoschlüssel in der Hand. Sie schaute sich sichtlich nervös um und eilte Richtung Parkplatz. Zwischen den Müllcontainerboxen stolperte sie und verlor ihren Autoschlüssel. Der leise Fluch verriet ihre Nervosität.
“Hallo, guten Morgen Twink!” sprach sie eine ruhige, männliche Stimme an. Sie erstarrte mitten in der Bewegung.
Vögel zwitscherten einen Morgengruß.
Sie drehte sich langsam zu dem Sprecher um. Lächelnd stand ein Mann knapp über dreißig vor ihr, den sie als “Das Objekt” kannte und immer mal wieder aufgelauert hatte. Sie konnte sich an jede Begegnung erinnern. Er auch.
“Ich bin das Objekt.” sagte er und sie nickte.
“Ich weiß, ich kenne Sie.” antwortete sie schwach.
“Nein, das tust du nicht.” sein Blick war fest auf sie gerichtet, er blinzelte kaum. Das machte ihr Angst.
“Ich möchte dir etwas schenken.”
“Was wollen Sie mir schenken?”
“Erstens: Dein Leben. Zweitens: Eine Erinerung an mich.” sprach er völlig entspannt zu ihr.
“Ich habe mein Leben noch.” meinte sie unsicher.
“Noch, ja. Das stimmt.” sagte er. “Das wird wohl auch so bleiben. Aber anders, als bisher.”
Seine rechte Hand glitte aus der Hosentasche und griff unter die leichte Jacke. Hervor holte sie eine schwarze Pistole.
“Wollen Sie mich erschießen, hier? Auf der offenen Straße?” fragte sie hastig und sich umblickend.
“So offen ist es hier gar nicht und so früh am Morgen ist hier nichts los. Blöd, wenn man am Ende einer Sackgasse wohnt, was?”
“Ich, wir, wir können ja nochmal reden. Also, ich meine, ich kann Ihnen erklären, was die Scherze sollten, die wir gemacht haben.”
“Scherze?”
“Ja, naja, das mit der Nase und so.”
“Und? Was sollte das?” er klang nicht wirklich interessiert.
“Wir wollten eine reale Studie machen. Wir sind alles Studenten, ja Studenten der Psychologie. Und wir wollten das als Lifeprojekt durchführen, an einem Versuchsobj … Probanden, der erst mal nichts weiß, wenn er beschattet wird. Ja, so war das. Es sollte bald aufgeklärt werden. Also, dass Sie wissen, was los war.”
“Weiß ich.” sagte er kühl.
“Wissen Sie? Was wissen Sie?” fragte sie schnell.
“Das ihr einen Rekord aufstellen wolltet. Das ihr mich in den Selbstmord treiben wolltet. Das weiß ich.” Ist sie so blöd?
Der Typ ist eiskalt, dachte sie. Kein Wunder, nachdem, was wir abgezogen haben. Und was jetzt? Hastig wägte sie ihre Möglichkeiten ab. Sex! Männer wollen immer Sex.
“Wenn Sie wollen, schlafe ich mit Ihnen, sozusagen als Entschuldigung und Widergutmachung. Hey, Sie gefallen mir, das wär doch was?” schlug sie jovial mit zitternder Stimme vor.
Er hob kurz die Augenbraue, legte den Kopf schief und schaute Sie prüfend an. Meint die das ernst? Krass, sie muss ganz schön Angst haben. Sehr gut. Soll sie denken, ich geh drauf ein, dann haben wir es schneller hinter uns.
“Interessant.” sagte er und machte einen Schritt auf sie zu. Schief lächelte sie ihn an und zog ihren Reissverschluß der Jacke langsam runter. Plötzlich machte er einen Satz nach vorn, riss die Pistole hoch, drückte ihr den Lauf an die Kehle und zog mit der linken die Kombizange aus der Tasche. Ehe sie überhaupt begriff, was geschah, bohrte sich das grobe Werkzeug in ihre hübsche kleine Nase und kniff zu. Er fing gerade an zu reißen, da drehte sie den Kopf zur Seite. Das reißende Geräusch dauerte dieses Mal länger.
Sie spürte noch kalten Stahl an der Kehle und ebenso in ihre Nase dringen, roch dreckiges Werkzeugöl und spürte ein Kneifen auf ihrem rechten Nasenflügel. Instinktiv wollte sie sich ducken, da hatte sie das Gefühl, ihr Gesicht explodiere, würde mit Säure übergossen. Ein Brennen schoss ihr in die Augen dass ihr Hören und Sehen verging, Tränen füllten die geschlossenen Lieder. Schmerz! Einfach nur Schmerz! Alles brannte, ihr rechtes Auge war erfüllt von tausenden heißen Nadeln die bis zum Knochen in ihr Fleisch gejagt wurden.
Ach du Schreck. Was war das? AH, die Kleine hat sich bewegt, zu dumm. Bis fast zum Auge alles aufgerissen. Schade um das hübsche Gesicht.
Er lies die Frau einfach fallen, ging langsam von ihr weg und scherte sich nicht um das Geweine. Kurz schaute er sich um, ob jemand zugeschaut hätte. Na, von hier wegziehen müsste er wohl eh. Egal. Den kleinen Fleischrest an der Kombizange warf er in einen der runden Kanalisationsschächte. Frühstück für die Ratten.
Beim Auto angekommen, steckte Zange und Pistole weg und schaute nach der nächsten, nein, nach der letzten Adresse. Es war nicht weit, so fuhr er gleich los. Wird auch Zeit für Frühstück.
Wenige Kilometer weiter schlief ein junger Student mit schwarzen Haaren, die weiße Streifen hatten unruhig in seinem Bett. Er hatte einen Alptraum. In diesem Traum wurde er verfolgt von Leuten mit riesigen Nasen die ihn immer wieder anstupsten. Es tat weh. Kurz darauf wachte er auf und dachte kurz darüber nach, ob sie das Projekt abbrechen sollten. Nein, bisher hatte es zu viel Spaß gemacht und er wollte unbedingt den Rekord brechen.
Sein Handy virbrierte. Man, so früh. Noch nicht mal acht.
Das Handy zeigte einen unbekannten Anrufer an. Genervt ging er ran.
“Hallo?” Keine Antwort.
“Hallo!” Nichts.
“Fuck!” Poolitzer legte auf.
Erst mal einen Kaffe. Der Duft füllte die kleine, unaufgeräumte Küche aus, weckte seine Lebensgeister. Twink vermisst mich bestimmt schon. Ich sollte sie nachher gleich anrufen. Brötchen wären nicht schlecht. Nur habe ich nicht mal Brot im Haus. Mist! Muss ich noch mal raus.
So trabte er, nach dem er sich angezogen hatte, los um an der nächsten Tanke Brötchen für den ganzen Tag und etwas Wurst zu kaufen. So viel Geld hatte er grad noch, viel mehr würde heute nicht drin sein. Auf dem Rückweg entschloß er sich, den Park zu nutzen. Morgens war es dort schön ruhig, die Vögel zwitscherten und wenn die aufgehende Sonne durch die Bäume schien, weckte das seine Lebensgeister und seine Laune. Dem Studenten kamen dann, in dieser ruhigen Phase, sicher auch wieder nette Ideen, wie er dem Objekt zu Leibe rücken konnte. Da liesse sich bestimmt noch was machen. Der Streßlevel musste einfach erhöht werden, der Druck, den sie machten, war bestimmt noch nicht hoch genug. Ordog war allerdings ein ungewisser Faktor, er konnte durch seine spontanen Auswüchse alles kaputt machen, er würde ihn absägen. Und, ja, das wäre sicher lustig, er würde Ordog als nächstes Objekt auswählen, mit einer neuen Mannschaft.
An einem kleinen, flachen Teich angekommen, fütterte er einige Enten und aß selbst ein Brötchen. Auf einer Bank sitzend malte er sich schon das Porjekt Ordog aus. Ha! Das wäre ein Spaß.
“Guten Morgen!” sagte eine Stimme neben ihm, riß ihn aus den Gedanken. Der Schreck schlug ihm auf den Magen. Jemand setzte sich zu ihm auf die Bank. Die noch tiefstehende Sonne im Rücken blendete den Studenten zunächst, doch dann erkannte er, wer da neben ihm saß.
“DU?” enfuhr es ihm.
“Ja, ich. Ich bin das Objekt!” antwortete sein Banknachbar mit einer Stimme, die selbst die Enten unruhig werden ließ. Entfernt bellte ein Hund. Die Vögel zwitscherten und die Enten schwammen quakend davon, es gab ja nichts mehr.
“Du bist Poolitzer, richtig?” Das schwache Nicken und der Gesichtsausdruck waren Antwort genug.
“Wie? Was?” mehr bekam Poolitzer nicht heraus.
“Wie ich dich gefunden habe? Was ich hier mache?” fragte sein Gegenüber. Die schwarzweiße Frisur nickte leicht.
“Ganz einfach: Mit Hilfe deiner Kollegen, die waren so freundlich, mir deine Adresse zu geben. Ordog” er betonte den Namen deutlich, “habe ich samt Freundin beim Essen überrascht. Und Twink,” auch diesen Namen betonte er stark, “muss ich wohl bei einem Schäferstündchen gestört haben. Sei’s drum.”
Das Handy von Poolitzer begann zu vibrieren.
“Geh ruhig ran. Es werden deine Leute sein” sagte das Objekt lächelnd zu ihm.
Poolitzer nahm zögernd das Gespräch an, sofort ertönte eine laute, weibliche Stimme die hörbar am Weinen und Schluchzen war. Twink beklagte sich, was passiert sei, was er ihr angetan hatte und dass alles Poolitzers Schuld sei. Mit den Worten “Er ist hier.” legte er auf.
“Sagt ihr nicht immer ES?” fragte der Mann auf der Parkbank ruhig aber mit lauerndem Unterton. Der Student nickte ein wenig.
“Ich habe mich wirklich darauf gefreut dich kennen zu lernen.” nickte der Mann, den er bisher nur das Objekt nannte, fröhlich lächelnd. Das machte Poolitzer Angst. Er überlegte die Chancen einer Flucht. Doch wollte er auch erst mal wissen, was das Objekt nun wollte. Vielleicht konnte er für die nächsten Projekte etwas lernen. So versuchte er es auf die freundliche Tour.
“Ja, sehr spannend, dich hier zu sehen. So … unerwartet.” sagte er schwach. Er hielt im die Hand hin wie zur Begrüßung, ein Fehler, wie er sich später erinnern würde.
Das Objekt ergriff die Hand wie einen Schraubstock, nahm die zweite Hand dazu und verdrehte den ganzen Arm, so dass er sich freiwillig wegdrehen musste und auf dem Boden landete, unweit vom Teichrand. Upps!
Lang ausgestreckt, das Gesicht unsanft in den Sand gedrückt, die Knie des Mannes auf dem Rücken, konnte er sich nicht mehr bewegen. Sein Arm schmerzte ob der Verdrehung, seine Wirbelsäule protestierte und in dem linken Auge hatte er Sand reinbekommen, ein Stein pieckte genau unterhalb des Auges tief in seine Haut. Er stöhnte auf. Sein rechtes Auge kniff er auch zu, bis er ein Tippen an der Schulter merkte. Direkt neben seinem Ohr hörte er die Stimme seines Peinigers, der bis vor kurzem noch das Opfer war. Scheiße!
“Ich werde dir etwas schenken.” raunte es neben seinem Ohr.
“Aha.” stöhnte der junge Student schwach. “Und wasch?”
“Dein Leben und eine Erinnerung an mich.” war die Antwort. “Deine Freundin hat mir ihren Körper angeboten. Das kannst du wohl kaum, was?” Ein fieses Lachen ertönte über dem am Boden liegenden. Dessen Gedanken rasten zwischen seinem Peiniger und seiner Freundin hin und her.
“Weißt du, was das ist?” wurde er gefragt. Er öffnete ein Auge.
“Eine Kombischange.” nuschelte er schwach.
“RICHTIG! Der Kandidat erhält hundert Punkte und darf sich etwas wünschen.” ertönte es höhnisch über ihm.
“Verschwinde!”
“Abgelehnt!” gab es in einem Singsang zurück. “Weißt du, was da an der Kombizange ist?”
Poolitzer schaute genauer hin, soweit er das konnte und sah die silberne Fläche mit etwas braunrotem bedeckt.
“Blud?” vermutete er.
“Wieder richtig!” konnte er hören. “Du erhältst jetzt deinen Preis. Die Erinnerung an, Trommelwirbel bitte, MICH!”
Kaum waren die Worte verklungen, fühlte er seinen Kopf nach oben gerissen, die Kombizange wurde in sein rechtes Nasenloch gebohrt und kniff ihm schmerzhaft in den Nasenflügel.
“Was wird das, du Penner? Wir haben dir doch nur einen Streich gespielt.”
“Ach ja?” ertönte es nicht mehr fröhlich neben seinem Ohr. “Und was ist mit deinem Rekordversuch?” lauernd war die Stimme bis tief in seinen Kopf gedrungen. Entsetzt weiteten sich Poolitzers Augen.
“Das weißt du? Scheiße, das war doch gar nicht ernst gemeint.” versuchte er sich rauszureden. Doch überzeugend klang es nicht.
“Ach ja, statt in vier wolltet ihr es in einer Woche schaffen, mich zum Selbstmord zu treiben. Mein Dank ist dir sicher. Ich leben nämlich sehr gern!”
Das nächste was, der Gequälte spürte, war ein heftiges ziehen an seinem Nasenflügel. Etwas riß und zog daran, dass es brannte. Poolitzer schrie.
“Man, du hast die stabilste Nasen von allen.” hörte er fluchend die Stimme über sich.
Dann gab die Haut nach, ein reißendes Geräusch war zu hören, Schmerz schlug wie ein Hammer in sein Gesicht und er konnte nur noch schreien. Es störte ihn nicht einmal, dass sein Gesicht wieder in den Sand gedrückt wurde. Dass das Gewicht von ihm wich, merkte er kaum, seine schmerzende Arme nahm er zögernd nach vorn um seine Nase zu bedecken. Unfähig etwas anderes zu tun als den Schmerz zu ertragen, lag er am Boden gekrümmt und wand sich. Das Stöhnen und schreien hatte alle Enten vertrieben und die Vögel verstummen lassen.
“Die Brötchen duften herrlich. Die isst du wohl nicht mehr, nein?” als keine Antwort kam, nahm das ehemalige Objekt die Tüte an sich, stand auf und ging langsam davon.
“Sei froh, dass du lebst. Und komm nicht auf dumme Gedanken. ICH weiß auch wo DU wohnst.” sagte der Mann noch zum Abschied.
Lange lag Poolitzer vor dem Teich und weinte vor sich hin. Den Rekord konnte er wohl vergessen. Allein für diesen Gedanken wollte er sich schlagen, aber es tat alles so weh.
Ein Mann mit einer blutigen Kombizange in der einen und einer Brötchentüte in der anderen Hand verließ entspannt lächelnd den Park. Vor einem Gullideckel blieb er stehen und kratzte etwas von der Zange ab. Er lauschte kurz auf das leise Platschen und ging dann weiter. Die Kombizange warf er in einen Mülleimer. “Leerung jeden Montag” stand darauf. Praktisch.
Der Mann ging zu einem Auto und stieg ein. Kurz darauf sah man, wie das Auto davon fuhr. Der Fahrer fuhr nach Hause. In seiner Wohnung duschte er eine geschlagene halbe Stunde lange, rief dann bei seiner Kollegin an. Er habe Hunger und Lust auf ein Frühstück, aber nicht allein. Ob sie sich nicht treffen wollten? Er würde Brötchen mitbringen. Sie freute sich.
An diesem Tag wunderten sich mehrere Notärzte, dass sie von jungen Leuten aufgesucht wurden, die sich den kompletten rechten Nasenflügel beim Sport, beim Handwerken, beim Treppe runterstürzen und beim Hausputz weggerissen hatten. Da es verschiedene Ärzte waren, fiel niemandem die ungewöhnliche Häufung auf.
Die Gruppe traf sich nie wieder, nahm nie wieder Kontakt zu einander auf. Nur Ordog wollte immer mal wieder für eine Nacht zu Tattoo, doch die war bald umgezogen und ihre Telefonnummer gelöscht.

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