Mittwoch, 7. Oktober 2015

Störung des Unterrichtes

Diese Geschichte beruht auf den Erzählungen einer Kollegin. Eine ihrer Teilnehmerinnen wurde während des Lehrgangs immer selbstbewusster. Gefördert wurde das auch von ihren Kolleginnen. Sie schminkte, lernte viel und blühte regelrecht auf. Dann kam sie eines Tages mit einem blauen Auge nach Hause. Ihr Mann hatte sie geschlagen, weil sie sich veränderte und selbstbewusster wurde. Diese Erzählung habe ich dann in mein Seminar verlegt. Mit ist sowas zum Glück nie passiert. Nur selbstbewusster wurden viele meiner Damen. Das ist immer toll zu erleben.

Im Unterricht erlebt man ja so einiges. Es sind schon diverse Dinge passiert, keine wirklich bedrühlichen, aber schon beeindruckend. Ich dachte schon, mich überrascht nichts mehr, nach all den Jahren, da passierte etwas, dass ich so schnell nicht vergessen werde.

Wir waren gerade dabei, den Serienbrief in Word zu besprechen, als die Tür zum Unterrichtsraum aufgerissen wurde und ein Mann in Jogginghose reinstürmte.

"HILDE! Komm her! Ich hab gesagt, du sollst nicht mehr her!"

Wild schaute er sich um und blickte dann in mein überraschtes Gesicht.

"Was guckst du so, du Penner? Wo ist meine Frau?"

Nun, da ich die Teilnehmer sieze, hatte ich das nicht so mit den Vornamen. Da eine der Damen jedoch erschreckt aufgeschrien hatte und sich nun hinterm Monitor versteckte, glaubte ich zu wissen, wer Hilde sei.

Beim Bund hatte ich etwas über Deskalation gelernt und wollte das hier nun anwenden. Allein der Mann war meiner höflichen Ansprache nicht zugänglich.

"Halt's Maul! Ich hab die dumme Kuh schon gefunden."

Er ging in die Reihe, wo seine Frau saß und zerrte sie brutal am Arm hoch, verdrehte diesen und gab ihr eine kräftige Schelle. Nur halbherzig wehrte sie sich. Immerhin war er deutlich kräftiger gebaut als sie.

Himmel Arsch.

Ich wollte ihn, und besonders sie, so nicht gehen lassen. Wer weiß, was er mit ihr anstellen würde. So trat ich ihm in den Weg. Hinter sich, nun von seiner linken Pranke gehalten, seine Frau, leise weinend.

"Verpiss dich!" fauchte er mich an.

"Nein!" gab ich zurück.

"Aller, ich klopf dich windelweich, wenn du nicht abziehst!"

"Dann los."

Ruhig stand ich vor ihm und schaute ihn an.

Mit einer verächtlichen Bewegung ließ er seine Frau los und wollte aus der Bewegung mit dem linken Arm zuschlagen. Mit beiden Armen fing ich die Bewegung des Armes ab und lenkte sie an mir vorbei, hielt sein Handgelenk fest und zusammen drehten wir uns im Kreis. Ich stand nun mit dem Rücken zu ihm.
Dann stoppte ich und ließ ihn weiter drehen, hielt dabei aber sein Handgelenk fest. Er schrie auf.
Nun standen wir nebeneinander und ich hielt seinen Arm am Handgelenk fixiert, seine Handfläche nach außen, meine Schulter und seine gerammt. Was sich hier eher lustig anhört, war recht schmerzhaft für ihn, insbesondere, wenn ich nur ein klein wenig meine Hände nach vorne nahm. Da musste er sich verbeugen.

Er brüllte, schrie, sabberte dabei und versuchte mich mit seinem freien Arm zu schlagen, was nicht gelang. Ich führte ihn von seine Frau und den übrigen Teilnehmern weg und redete auf ihn ein.

"Wenn Sie sich wehren, tut das weh, wenn Sie ruhiger werden, hört der Schmerz auf."

Wieder zappelte er und wieder verdrehte ich leicht das Handgelenk. Er schrie auf und wurde ruhiger. So führte ich ihn aus dem Raum und zur Anmeldung. Diese bat ich, die Polizei anzurufen. Wir hätten hier einen gewalttätigen Angriff und Störung des Unterrichtes.

"Lass mich los!" brüllte er.

"Nö."

Wieder wollte er sich bewegen, wieder ließ ich ihn sich vorbeugen. Er sah es ein. Scheinbar entspannt stand ich da und wartete auf die Polizei. Als diese endlich eintrafen, war ich schon erleichtert. Das ständige Gezappel war anstrengend zu kontrollieren.
Die Polizistin schaute sich die Szene schmunzelnd an, schaute genauer auf meinen Griff und fragte nur:

"Aikido?"

Mein Nicken war die Antwort, dann war ich den Mann los und er in Handschellen abgeführt. Endlich.

Mit zitternden Beinen und schlappen Armen ging ich in die Cafeteria und trank ein Glas Wasser. Die gesamte Anspannung löste sich, was zu einem Zittern meiner Hände führte. Die Polizistin kam wieder um mich und die Teilnehmer zu befragen, merkte was mit mir los war und schickte mir einen Sani.

Der ließ mich auf den Boden setzen. Bei meiner Länge fällt man nicht gern um, auch nicht vom Stuhl.

Nach einigen Minuten ging es wieder und ich fragte nach meiner Teilnehmerin. Diese war wohlauf, wurde aber im Krankenhaus untersucht. Der Mann kam vorerst in Haft.

Später kam die Polizistin die, nebenbei bemerkt, sehr attraktiv war, und stellte mir zahlreiche Fragen. Soweit ich konnte, beantwortete ich diese und stellte auch einige Fragen, ich wollte nicht, dass sie so schnell ging.
Mit einem Schmunzeln schob sie mir ihre Karte zu sagte lächelnd:

"Wenn Ihnen noch etwas einfällt, sie etwas wissen möchten oder woanders ein Glas Wasser trinken wollen ..."

Ich lief rot an, freute mich aber.

Drei Tage später gingen wir das erste mal zusammen aus.

Die Teilnehmer hatten sich inzwischen erholt, waren begeistert von meinen Eingreifen, was ich aber abwinkte. Der Serienbrief wartete.
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Überfall aus Eifersucht

Zahlreiche langweilige Meetings zu Vertriebszeiten ließen solche Geschichten entstehen. Die Geschichte schwebt mir schon lange im Kopf, fast vergessen.
Das Meeting war wieder langweilig. So derbst langweilig. Mein Kollege, der den Vortrag hielt, leierte seine PowerPoint-Folien herunter, las brav ab, was da stand und klickte weiter. Ein Kollege und ich schüttelten den Kopf, lehnten uns zurück und drifteten geistig ab.
Im kleinen Meetingraum nebenan lief die Ausbildung der Trainees. Dort wurde gelacht, da waren Dialoge. So wünschte ich mir das hier auch. Ich hielt es nicht mehr aus. Der Tonfall des Kollegen wurde leiernder und leiernder und bevor ich hier schlafend vom Stuhl kippte, ging ich lieber auf Klo.
So erhob ich mich mit einer gemurmelten Entschuldung von wegen Harnblase und so und ging raus auf Klo. Ah, Freiheit. Ich beschloss, noch ein Käffchen zu trinken, nee, abends eher Wasser, und nicht mehr zurück in den Raum der Qual zurück zu gehen. Während ich noch am Urinal stand, hörte ich das quäkige Dä dü dü der Klingel. Bald darauf ertönten die harten Absätze der Lederschuhe auf den Fließen. Ich wusch die Hände. Die Tür klapperte und während ich das Wasser abstellte, hörte ich einen erschreckten Aufruf, ein Rumpeln, irgendwas schien an der Wand entlang zu schaben. Dann harte Schritte auf unserem gefliesten Flur.
Was war da los?
Durch die geschlossene Tür konnte ich hören, wie die Schritte vor die Türen eilten, diese auftraten, dann knallten fast zeitgleich je zwei Schüsse in die Decken der beiden Meetingräume. Das erfuhr ich später von den Kollegen.
Scheiße.
"RUNTER, IHR SCHWEINE! ALLE RUNTER!"
Nun hatte ich das Bild vor meinem geistigen Auge, wie meine Kollegen sich hektisch zwischen den Stuhlreihen auf den Boden warfen. Der Meetingraum war voll, die Stuhlreihen eng.
"WO IST DIE SCHLAMPE?"
Ah, daher weht der Wind. Vielleicht eine der neuen jungen Kolleginnen?

Nun überlegte ich, was zu tun sei. Aktuell befand ich mich in relativer Sicherheit. So lange es dauert. Kurz dachte ich daran, die Polizei anzurufen, jedoch hallte es hier in der Toilette sehr, so dass ich davon Abstand nahm.
Eine Entscheidung wurde mir abgenommen. Eilige Schritte kamen auf mein Versteck zu, einer der Angreifer schien den kleineren Meetingraum verlassen zu haben.
Ganz eng stellte ich mich an die Wand hinter der Tür. Diese flog dann auch gleich auf. Erst bei den Damen gegenüber, dann, nur wenig später, bei mir. Eine Pistole ragte in den Raum herein und zielte auf die Tür zum Urinal.
Nur einen winzigen Augenblick zögerte ich und griff dann beherzt zum Waffenarm. Zeitgleich warf ich mich gegen die Tür. Ein überraschter Aufruf war die Quittung und ich verdrehte nicht nur die Pistole in der Hand, sondern presste den Körper zurück und klemmte den Arm kräftig ein.
Ein Schrei ertönte hinter der Tür und ein Schuß löste sich. Klirrend ging der Spiegel hinter mir kaputt. Scherben fielen auf das Waschbecken und den Fußboden.
Wieder und wieder rammte ich mich gegen die Tür, bog einen Finger nach hinten, bis er brach und endlich hatte ich die Pistole frei.

Der von mir so geschundene Arm zog sich zurück, ich folgte sofort und blickte in die erschrockenen Augen eines eher jungen Mannes in wilder Kleidung.
Ok, in seinen Kreisen mögen Sporthosen, riesige Turnschuhe und ein quer sitzendes Basecap cool wirken.
Als er mich, ganz Schlipsträger, sah, verzerrte sich sein Gesicht zu einer wütenden Fratze und er wollte sich auf mich werfen. Mehr erschreckt als gezielt drückte ich ab. Sein Vordringen endete abrupt und blieb stehen.
Ungerührt schaute ich ihm in die Augen, hob die Waffe in Brusthöhe, sagte:
"Idiot!"
und drückte erneut ab. Sein Blick brach schnell und er kippte in die Damentoilette.

"Dennis! Alles ok?"
"Dennis?"

Ich antwortete an der Stelle des Toten.

"Ja, ok."

Sofort eilte ich aus dem Bereich der Toilette zur gegenüberliegenden Wand und lugte um die Ecke.

Neben mir, hinter der Wand, lag der kleine Meetingraum. Von da kam Dennis, vermutete ich. Parallel dazu lag der große Meetinraum. Das Dumme war, dass wir neben den Türen sogenannte Lichtschwerter hatten. Glasscheiben, die Licht in den Flur lassen sollten. Leider auch den Blick auf mich freigaben, wenn ich den Flur betrat.

Ich hiel die Waffe nach vorne und schaute zu den Türen. Aus dem großen Raum ertönten die Angstschreie einer jungen Frau.

"DU SCHLAMPE KOMMST JETZT MIT! UND DEINEN CHEF MACH ICH KALT!"

Oha, da war jemand sauer. So eilte ich über den Flur in die Ecke zwischen den Türen. Kurz schaute ich in den kleinen Meetinraum, dort waren meine Kollegen zusammen gezuckt. Einige hatten ihr Telefon in der Hand. Ich nickte ihnen zu und drehte mich zur Tür neben mir.

Diese wurde gerade aufgerissen und eine der neuen Kolleginnen hart hinausgestoßen. Ihr Kostum war zerrissen, der Rock halb herunter gerissen und ihre sonst so perfekt sitzende Frisur ließ zu wünschen übrig.

Dann trat mit einem lauten "DENNIS!" ihr Kontrahent durch die Tür und blieb zur Säule erstarrt stehen. 
Ob das daran lag, dass er seinen Kumpel im Blute liegend sah oder daran, dass er meine Pistole an seinem Kopf spürte, weiß ich nicht.

"Waffe runter!" befahl ich in ruhigem Ton.

Stille.

Leise schluchzte die junge Vertrieblerin.

"Alter, mach kein' Scheiß!" sagte nun endlich der Mann in der Tür. Schweiß stand auf seiner Stirn und jetzt erst fielen mir Blutspritzer an seiner und der Kleidung der jungen Kollegin auf.

"Sagt der Richtige. Waffe runter!" befahl ich erneut.

"Was willst du tun? Mich abknallen wie meinen Freund?"

"Jupp."

Unsicher schielte er zu mir rüber. Ich trat einen halben Schritt zurück.

Stille.

Straßenlärm drang gedämpft zu uns herein, Polizeisirenen kamen näher, ein Stöhnen kam aus dem Meetingraum neben mir, die Freundin von meinem Gegenüber brach zusammen.

Da explodierte er förmlich mit einem lauten Schrei und riß dabei die Waffenhand hoch um in meine Richtung zu zielen.
Weit kam er nicht.

Mein Schuß löste sich in dem Moment, als er mir das Gesicht voll zuwendete, die Hand halb in meine Richtung erhoben.
Mitten in der Bewegung riss meine Kugel den Kopf nach hinten, auf der weißen Wand waren rote Sprenkel und weiße Glibberflecken. Steif wie ein Baum kippte er nach hinten.

"Scheiße." sagte ich leise. Dann trat ich in den Raum und schaute in bleiche Gesichter voller Panik. Meine Kollegen trauten ihren Augen nicht. Was 'n Wunder. Gewalt kannten die nur aus dem Fernsehen. Tja.
Unsicher erhob sich einer und stolperte nach vorne. Beklommen schaute er mich an, unsicher, was er sagen sollte. Gut, mit der Pistole in der Hand sah ich sicher nicht vertrauenserweckend aus.

Diese legte ich auf das Rednerpult und schaute mir meine Kollegen der Reihe nach an. In eine der Reihen wurde einer notdürftig versorgt. Eine Kugel hatte seine Schulter durchschlagen.

Draußen auf dem Flur lag die junge Kollegin, dessen Liebhaber dieses Chaos verursachte. Ihr Gesicht sah nach Schock aus, was mir aber egal war. Im Moment war mir alles egal.

Kurz ging ich noch in den kleinen Meetingraum, dort hatten sie weniger mitbekommen und saßen abwartend da, viele mit den Telefon in der Hand.

Eine Erschöpfung legte sich um meinen Körper wie ein tonnenschwerer Bleiumhang. Grad noch schaffte ich es zu einem Stuhl. Dort sackte ich zusammen, unfähig, mich noch zu bewegen oder gar zu sprechend.
Irgendwer fragte etwas, das drang wie durch Watte zu mir. Als die ersten Polizisten eintrafen, wurden sie von meinem Chef instruiert. Sanitäter kümmerten sich um den Verletzten und zwei Beamte nahmen mich mit.

Das Büro habe ich nie wieder betreten.

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