Donnerstag, 24. September 2015

Überfall auf das Büro

Gähn! Was für ein langer und weiliger Tag. Nun ja, das Mittagessen lag mir auch schwer im Magen und so versank ich langsam in meinem riesigen Chefsessel, die Füße auf einem typischen Papierkarton aufgestützt und surfte gelangweilt vor mich hin.
Im Grunde hätte ich ein Nickerchen machen sollen, dazu fehlte uns leider der Raum. So überlegte ich gerade, ob ich mir einen Kaffee holen sollte oder spazieren gehen oder gar beides, da rumpelte es an der Tür und ein Knall, gefolgt von einem Schrei, hallten durch den Flur.
 
Da ich mit dem Rücken zur Tür saß und das Fenster mir gegenüber war, konnte ich in der Spiegelung meine Tür beobachten. Das hatte ich schon immer gern genutzt, um zu sehen, wer sich leise in die Tür stellte, um mich zu beobachten. Ja, solche Kollegen hatte ich.
 
Nun stellte sich diese Situation als praktisch heraus, denn nach dem anfänglichen Knall folgte ein längeres Knattern, dass ich so nur aus Filmen kannte.

Schüsse? Hier? Verwechseln die uns?
 
Schwere Schritte kamen den Flur entlang, Türen wurden aufgerissen, Kollegen aus den Büros gezerrt, ab und an ein Schuss, Möbel fielen um. Irgendwo klirrte Glas, weinen. Das alles hörte ich und mein Puls stieg und somit auch die Hitze in meinem Kopf.

Man man.
 
Da flog meine Tür auf, jemand schaute kurz rein, jemand mit einer großen schwarzen Waffe in der Hand, und verschwand wieder. Die Tür fiel langsam wieder hinter ihm zu. Dieser Jemand trug so was wie eine Maschinenpistole, das konnte ich noch erkennen, grobe Kleidung und einen Bart.
 
Und jetzt?

Es wurde ruhiger. Ah, den Geräuschen nach trieben die zwei, ja, es mussten mindestens zwei sein, alle meine Kollegen im Meetingraum zusammen.
 
Ok.

Leise erhob ich mich vom Stuhl. Unschlüssig, ob ich durch das Fenster abhauen sollte oder etwas unternehmen, lugte ich durch die Tür. Nur keinen Lärm machen.
Der Flur war leer. Unser Büro hatte nur sechs Räume plus Meeting Raum. Neben meinem Büro befand sich die Küche, daneben das Klo. Auf dem Flur lagen Stühle, Papiere und eine Aktentasche samt auf dem Boden verteilter Ordner. Es musste einige meiner Kollegen erwischt haben, die grad zum Kunden wollten.
 
Links von mir standen die Türen offen, keine Bewegung. Hören konnte ich vom anderen Ende lautes Sprechen. Boshaft, vorwurfsvoll. Schnell schlüpfte ich in die Küche, öffnete die Geschirrschublade und schnappte mir ein Küchenmesser. Immerhin etwas.
 
Zurück auf dem Flur ging ich Richtung Meeting Raum. Als dort die Tür aufflog, sprang ich in die Tür zum Klo.

"Richard! Komm endlich!" schrie jemand.

Vom Klo, also vor mir, kam ein genervtes "Ja ja!" zurück. Die Tür zum Toilettenraum öffnete sich, mit dem Rücken zu mir kam jemand heraus und drehte sich zu mir um. Überrascht blickte er mich, immerhin stand er unmittelbar vor mir, entsetzt starrte ich zurück. Er war unrasiert, sein Atem ging schnell, er roch nach Urin, Schweiß und billigem Aftershave.
 
Um ihn dann, zu meinem Erstaunen, vor mir zusammenbrechen zu sehen. Verwirrt schaute ich ihn an, wie er vor mir zusammensackte. Mein Blick fiel auf das blutige Küchenmesser, dass ich vor mich gehalten hatte. Er war mittenrein gelaufen.
 
"RICHARD!"
 
Ehe der Verletzte antworten konnte, grunzte ich so was wie eine Antwort, trat dem Mann ins Gesicht, zerrte ihn ins Klo und schnappte mir seine Waffe. Eine MP5. Sie war fertig geladen und entsichert.
 
Dem Mann rammte ich mein Knie mehrfach ins Gesicht, stopfte ihm hastig ein Handtuch in den Mund und schloss die Tür. Fast wäre ich auf der Blutlache, die sich langsam ausbreitete, ausgerutscht.
 
Mit der Maschinenpistole in der Hand, trat ich auf den Flur. Leer.

Aus dem Meetingraum hörte ich aufgeregte Stimmen.
"Sie haben mein ganzes Vermögen vernichtet! Ich habe all mein Geld bei Ihnen angelegt, jetzt ist nichts mehr davon da! Dafür müssen Sie büßen!"
 
Mein Chef schien etwas erwidern zu wollen, ein klatschendes Geräusch und sein schmerzhaftes Aufstöhnen sprachen dafür, dass der Anführer die Antwort nicht hören wollte.

Die MP an der Schulter trat ich langsam vor. Einzelne Kollegen konnten mich schon sehen und machten große Augen. Ein Mann in grober Kleidung und Bart lugte auf den Flur, schaute mir erstaunt in die Augen, riss seine Waffe hoch und ich drückte ab.
Die Salve traf, jedenfalls die ersten Kugeln. Zwei nein drei, rissen Löcher in die Rigips Wände.
Der Bärtige wurde herumgewirbelt, drehte sich um die eigene Achse und fiel dann um wie ein Baum.
 
"MIKE!" kam es aus dem Meetingraum.
 
Die Blicke meiner Kollegen sprachen Bände. Einige Gesichter wechselten die Farbe passend zur weißen Wand. Mit einem beherzten Sprung stand ich in der Tür, zielte auf den letzten Mann und sprach schnell und hart:
 
"Zwei Möglichkeiten: Waffe runter oder du stirbst!"

Die berühmte Stecknadel hätte man selbst auf unserem dicken Teppich hören können. Niemand atmete. Lange Sekunden starrten wir uns an. Dann begann er ganz langsam die Arme zu heben.
 
Die MP hielt ich fester im Arm und den Finger am Abzug.
 
Langsam, viel zu langsam, hoben sich die Arme um dann Explosionsartig zu seiner Waffe greifen zu wollen um diese hoch zu reißen.

Mein Finger zog den Abzug durch, ohne, dass ich darüber nachdachte. Der Mann vor mir wurde durchgeschüttelt wie eine lachende Marionette, Löcher perforierten die Kleidung und als mein Magazin leer war, quoll Blut aus zahlreichen Wunden des Oberkörpers.
 
Mit einem erstaunten Gesichtsausdruck kippte er gegen die Wand und rutschte daran herunter, ein bizarres rotes Muster verbreitend.

Ruhe. Immer noch saßen alle still da und starrten mich an. Irgendwo im Hintergrund hörte ich eine Polizeisirene. Entschlossen richtete ich mich auf. Prüfte den Puls des Mannes, der neben der Tür lag, tot. Eine Patronenhülsen klimperten eine leise Melodie des Todes, als ich aus dem Meetingraum trat um zur Toilette zu gehen.

Die MP hatte ich mit einem Magazin von der Leiche vor der Tür nachgeladen. Ja, der Mann auf dem Klo lebte noch. Noch. Kurz zuckte mein Lid. Kurz zuckte mein Finger. Nein, ich mochte ihn nicht erschießen.
 
In meinem Kopf drehte sich alles. Denken fiel mir immer schwerer. Das Erlebte brachte meinen Verstand, mein Gewissen, meinen ganzen Körper in Aufruhr. Tausende Gedanken, keiner klar. Wie ein alter kranker Mann bewegte ich mich, dabei überall Halt suchend.
 
Fußgetrappel hinter mir. Erstaunte Ausrufe und Order nach Verstärkung drangen an mein Ohr. Polizei, vermutete ich und trat wieder auf den Flur. Zwei Streifenpolizisten, mit gezogenen Waffen und mehr als verdutzten Gesichtern, starrten mich an um dann sofort ihre Pistolen in meine Richtung zu halten.
 
"WAFFE RUNTER!" brüllten beide.
 
Nun war ich es, der sie verwirrt anstarrte. Die MP hatte ich längst vergessen. Sekunden vergingen. Mein Gehirn verarbeitete das gesagte wie eine Schnecke.

"WAFFE RUNTER! SOFORT!"

Matt ließ ich den Kopf hängen und stierte auf die MP. Wie einen Fremdkörper schüttelte ich sie ab, so dass sie klappernd zu Boden fiel.

Die Beamten, jeder eng an der Wand und leicht geduckt, näherten sich langsam und ich wunderte mich, dass sie sich drehten. Nein, ich drehte mich. Mein Kreislauf hatte aufgegeben, die Beine versagten den Dienst. Mit einer langsamen Drehung brach ich auf die Kniee, fiel dann um wie ein nasser Sack.

Hektische Stimmen, Weinen, Schreie und eilige Schritte drangen nur noch wie durch Watte zu mir durch. Kaum in der Lage, meinen Blick zu wenden, ließ ich mir Handschellen anlegen, die bald darauf wieder abgenommen wurden. Ich wurde aufgehoben, wegetragen. Licht, viel zu hell. Angenehme Schwärze lullte mich ein.

Mein letzter Gedanke war: "Ich habe zwei Menschen getötet."

© ist und bleibt beim Autor dieser Zeilen. Nachdruck, Verbreitung, Kopie und Veröffentlichung nur gegen Nachfrage.
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