Mittwoch, 7. Oktober 2015

Störung des Unterrichtes

Diese Geschichte beruht auf den Erzählungen einer Kollegin. Eine ihrer Teilnehmerinnen wurde während des Lehrgangs immer selbstbewusster. Gefördert wurde das auch von ihren Kolleginnen. Sie schminkte, lernte viel und blühte regelrecht auf. Dann kam sie eines Tages mit einem blauen Auge nach Hause. Ihr Mann hatte sie geschlagen, weil sie sich veränderte und selbstbewusster wurde. Diese Erzählung habe ich dann in mein Seminar verlegt. Mit ist sowas zum Glück nie passiert. Nur selbstbewusster wurden viele meiner Damen. Das ist immer toll zu erleben.

Im Unterricht erlebt man ja so einiges. Es sind schon diverse Dinge passiert, keine wirklich bedrühlichen, aber schon beeindruckend. Ich dachte schon, mich überrascht nichts mehr, nach all den Jahren, da passierte etwas, dass ich so schnell nicht vergessen werde.

Wir waren gerade dabei, den Serienbrief in Word zu besprechen, als die Tür zum Unterrichtsraum aufgerissen wurde und ein Mann in Jogginghose reinstürmte.

"HILDE! Komm her! Ich hab gesagt, du sollst nicht mehr her!"

Wild schaute er sich um und blickte dann in mein überraschtes Gesicht.

"Was guckst du so, du Penner? Wo ist meine Frau?"

Nun, da ich die Teilnehmer sieze, hatte ich das nicht so mit den Vornamen. Da eine der Damen jedoch erschreckt aufgeschrien hatte und sich nun hinterm Monitor versteckte, glaubte ich zu wissen, wer Hilde sei.

Beim Bund hatte ich etwas über Deskalation gelernt und wollte das hier nun anwenden. Allein der Mann war meiner höflichen Ansprache nicht zugänglich.

"Halt's Maul! Ich hab die dumme Kuh schon gefunden."

Er ging in die Reihe, wo seine Frau saß und zerrte sie brutal am Arm hoch, verdrehte diesen und gab ihr eine kräftige Schelle. Nur halbherzig wehrte sie sich. Immerhin war er deutlich kräftiger gebaut als sie.

Himmel Arsch.

Ich wollte ihn, und besonders sie, so nicht gehen lassen. Wer weiß, was er mit ihr anstellen würde. So trat ich ihm in den Weg. Hinter sich, nun von seiner linken Pranke gehalten, seine Frau, leise weinend.

"Verpiss dich!" fauchte er mich an.

"Nein!" gab ich zurück.

"Aller, ich klopf dich windelweich, wenn du nicht abziehst!"

"Dann los."

Ruhig stand ich vor ihm und schaute ihn an.

Mit einer verächtlichen Bewegung ließ er seine Frau los und wollte aus der Bewegung mit dem linken Arm zuschlagen. Mit beiden Armen fing ich die Bewegung des Armes ab und lenkte sie an mir vorbei, hielt sein Handgelenk fest und zusammen drehten wir uns im Kreis. Ich stand nun mit dem Rücken zu ihm.
Dann stoppte ich und ließ ihn weiter drehen, hielt dabei aber sein Handgelenk fest. Er schrie auf.
Nun standen wir nebeneinander und ich hielt seinen Arm am Handgelenk fixiert, seine Handfläche nach außen, meine Schulter und seine gerammt. Was sich hier eher lustig anhört, war recht schmerzhaft für ihn, insbesondere, wenn ich nur ein klein wenig meine Hände nach vorne nahm. Da musste er sich verbeugen.

Er brüllte, schrie, sabberte dabei und versuchte mich mit seinem freien Arm zu schlagen, was nicht gelang. Ich führte ihn von seine Frau und den übrigen Teilnehmern weg und redete auf ihn ein.

"Wenn Sie sich wehren, tut das weh, wenn Sie ruhiger werden, hört der Schmerz auf."

Wieder zappelte er und wieder verdrehte ich leicht das Handgelenk. Er schrie auf und wurde ruhiger. So führte ich ihn aus dem Raum und zur Anmeldung. Diese bat ich, die Polizei anzurufen. Wir hätten hier einen gewalttätigen Angriff und Störung des Unterrichtes.

"Lass mich los!" brüllte er.

"Nö."

Wieder wollte er sich bewegen, wieder ließ ich ihn sich vorbeugen. Er sah es ein. Scheinbar entspannt stand ich da und wartete auf die Polizei. Als diese endlich eintrafen, war ich schon erleichtert. Das ständige Gezappel war anstrengend zu kontrollieren.
Die Polizistin schaute sich die Szene schmunzelnd an, schaute genauer auf meinen Griff und fragte nur:

"Aikido?"

Mein Nicken war die Antwort, dann war ich den Mann los und er in Handschellen abgeführt. Endlich.

Mit zitternden Beinen und schlappen Armen ging ich in die Cafeteria und trank ein Glas Wasser. Die gesamte Anspannung löste sich, was zu einem Zittern meiner Hände führte. Die Polizistin kam wieder um mich und die Teilnehmer zu befragen, merkte was mit mir los war und schickte mir einen Sani.

Der ließ mich auf den Boden setzen. Bei meiner Länge fällt man nicht gern um, auch nicht vom Stuhl.

Nach einigen Minuten ging es wieder und ich fragte nach meiner Teilnehmerin. Diese war wohlauf, wurde aber im Krankenhaus untersucht. Der Mann kam vorerst in Haft.

Später kam die Polizistin die, nebenbei bemerkt, sehr attraktiv war, und stellte mir zahlreiche Fragen. Soweit ich konnte, beantwortete ich diese und stellte auch einige Fragen, ich wollte nicht, dass sie so schnell ging.
Mit einem Schmunzeln schob sie mir ihre Karte zu sagte lächelnd:

"Wenn Ihnen noch etwas einfällt, sie etwas wissen möchten oder woanders ein Glas Wasser trinken wollen ..."

Ich lief rot an, freute mich aber.

Drei Tage später gingen wir das erste mal zusammen aus.

Die Teilnehmer hatten sich inzwischen erholt, waren begeistert von meinen Eingreifen, was ich aber abwinkte. Der Serienbrief wartete.
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Überfall aus Eifersucht

Zahlreiche langweilige Meetings zu Vertriebszeiten ließen solche Geschichten entstehen. Die Geschichte schwebt mir schon lange im Kopf, fast vergessen.
Das Meeting war wieder langweilig. So derbst langweilig. Mein Kollege, der den Vortrag hielt, leierte seine PowerPoint-Folien herunter, las brav ab, was da stand und klickte weiter. Ein Kollege und ich schüttelten den Kopf, lehnten uns zurück und drifteten geistig ab.
Im kleinen Meetingraum nebenan lief die Ausbildung der Trainees. Dort wurde gelacht, da waren Dialoge. So wünschte ich mir das hier auch. Ich hielt es nicht mehr aus. Der Tonfall des Kollegen wurde leiernder und leiernder und bevor ich hier schlafend vom Stuhl kippte, ging ich lieber auf Klo.
So erhob ich mich mit einer gemurmelten Entschuldung von wegen Harnblase und so und ging raus auf Klo. Ah, Freiheit. Ich beschloss, noch ein Käffchen zu trinken, nee, abends eher Wasser, und nicht mehr zurück in den Raum der Qual zurück zu gehen. Während ich noch am Urinal stand, hörte ich das quäkige Dä dü dü der Klingel. Bald darauf ertönten die harten Absätze der Lederschuhe auf den Fließen. Ich wusch die Hände. Die Tür klapperte und während ich das Wasser abstellte, hörte ich einen erschreckten Aufruf, ein Rumpeln, irgendwas schien an der Wand entlang zu schaben. Dann harte Schritte auf unserem gefliesten Flur.
Was war da los?
Durch die geschlossene Tür konnte ich hören, wie die Schritte vor die Türen eilten, diese auftraten, dann knallten fast zeitgleich je zwei Schüsse in die Decken der beiden Meetingräume. Das erfuhr ich später von den Kollegen.
Scheiße.
"RUNTER, IHR SCHWEINE! ALLE RUNTER!"
Nun hatte ich das Bild vor meinem geistigen Auge, wie meine Kollegen sich hektisch zwischen den Stuhlreihen auf den Boden warfen. Der Meetingraum war voll, die Stuhlreihen eng.
"WO IST DIE SCHLAMPE?"
Ah, daher weht der Wind. Vielleicht eine der neuen jungen Kolleginnen?

Nun überlegte ich, was zu tun sei. Aktuell befand ich mich in relativer Sicherheit. So lange es dauert. Kurz dachte ich daran, die Polizei anzurufen, jedoch hallte es hier in der Toilette sehr, so dass ich davon Abstand nahm.
Eine Entscheidung wurde mir abgenommen. Eilige Schritte kamen auf mein Versteck zu, einer der Angreifer schien den kleineren Meetingraum verlassen zu haben.
Ganz eng stellte ich mich an die Wand hinter der Tür. Diese flog dann auch gleich auf. Erst bei den Damen gegenüber, dann, nur wenig später, bei mir. Eine Pistole ragte in den Raum herein und zielte auf die Tür zum Urinal.
Nur einen winzigen Augenblick zögerte ich und griff dann beherzt zum Waffenarm. Zeitgleich warf ich mich gegen die Tür. Ein überraschter Aufruf war die Quittung und ich verdrehte nicht nur die Pistole in der Hand, sondern presste den Körper zurück und klemmte den Arm kräftig ein.
Ein Schrei ertönte hinter der Tür und ein Schuß löste sich. Klirrend ging der Spiegel hinter mir kaputt. Scherben fielen auf das Waschbecken und den Fußboden.
Wieder und wieder rammte ich mich gegen die Tür, bog einen Finger nach hinten, bis er brach und endlich hatte ich die Pistole frei.

Der von mir so geschundene Arm zog sich zurück, ich folgte sofort und blickte in die erschrockenen Augen eines eher jungen Mannes in wilder Kleidung.
Ok, in seinen Kreisen mögen Sporthosen, riesige Turnschuhe und ein quer sitzendes Basecap cool wirken.
Als er mich, ganz Schlipsträger, sah, verzerrte sich sein Gesicht zu einer wütenden Fratze und er wollte sich auf mich werfen. Mehr erschreckt als gezielt drückte ich ab. Sein Vordringen endete abrupt und blieb stehen.
Ungerührt schaute ich ihm in die Augen, hob die Waffe in Brusthöhe, sagte:
"Idiot!"
und drückte erneut ab. Sein Blick brach schnell und er kippte in die Damentoilette.

"Dennis! Alles ok?"
"Dennis?"

Ich antwortete an der Stelle des Toten.

"Ja, ok."

Sofort eilte ich aus dem Bereich der Toilette zur gegenüberliegenden Wand und lugte um die Ecke.

Neben mir, hinter der Wand, lag der kleine Meetingraum. Von da kam Dennis, vermutete ich. Parallel dazu lag der große Meetinraum. Das Dumme war, dass wir neben den Türen sogenannte Lichtschwerter hatten. Glasscheiben, die Licht in den Flur lassen sollten. Leider auch den Blick auf mich freigaben, wenn ich den Flur betrat.

Ich hiel die Waffe nach vorne und schaute zu den Türen. Aus dem großen Raum ertönten die Angstschreie einer jungen Frau.

"DU SCHLAMPE KOMMST JETZT MIT! UND DEINEN CHEF MACH ICH KALT!"

Oha, da war jemand sauer. So eilte ich über den Flur in die Ecke zwischen den Türen. Kurz schaute ich in den kleinen Meetinraum, dort waren meine Kollegen zusammen gezuckt. Einige hatten ihr Telefon in der Hand. Ich nickte ihnen zu und drehte mich zur Tür neben mir.

Diese wurde gerade aufgerissen und eine der neuen Kolleginnen hart hinausgestoßen. Ihr Kostum war zerrissen, der Rock halb herunter gerissen und ihre sonst so perfekt sitzende Frisur ließ zu wünschen übrig.

Dann trat mit einem lauten "DENNIS!" ihr Kontrahent durch die Tür und blieb zur Säule erstarrt stehen. 
Ob das daran lag, dass er seinen Kumpel im Blute liegend sah oder daran, dass er meine Pistole an seinem Kopf spürte, weiß ich nicht.

"Waffe runter!" befahl ich in ruhigem Ton.

Stille.

Leise schluchzte die junge Vertrieblerin.

"Alter, mach kein' Scheiß!" sagte nun endlich der Mann in der Tür. Schweiß stand auf seiner Stirn und jetzt erst fielen mir Blutspritzer an seiner und der Kleidung der jungen Kollegin auf.

"Sagt der Richtige. Waffe runter!" befahl ich erneut.

"Was willst du tun? Mich abknallen wie meinen Freund?"

"Jupp."

Unsicher schielte er zu mir rüber. Ich trat einen halben Schritt zurück.

Stille.

Straßenlärm drang gedämpft zu uns herein, Polizeisirenen kamen näher, ein Stöhnen kam aus dem Meetingraum neben mir, die Freundin von meinem Gegenüber brach zusammen.

Da explodierte er förmlich mit einem lauten Schrei und riß dabei die Waffenhand hoch um in meine Richtung zu zielen.
Weit kam er nicht.

Mein Schuß löste sich in dem Moment, als er mir das Gesicht voll zuwendete, die Hand halb in meine Richtung erhoben.
Mitten in der Bewegung riss meine Kugel den Kopf nach hinten, auf der weißen Wand waren rote Sprenkel und weiße Glibberflecken. Steif wie ein Baum kippte er nach hinten.

"Scheiße." sagte ich leise. Dann trat ich in den Raum und schaute in bleiche Gesichter voller Panik. Meine Kollegen trauten ihren Augen nicht. Was 'n Wunder. Gewalt kannten die nur aus dem Fernsehen. Tja.
Unsicher erhob sich einer und stolperte nach vorne. Beklommen schaute er mich an, unsicher, was er sagen sollte. Gut, mit der Pistole in der Hand sah ich sicher nicht vertrauenserweckend aus.

Diese legte ich auf das Rednerpult und schaute mir meine Kollegen der Reihe nach an. In eine der Reihen wurde einer notdürftig versorgt. Eine Kugel hatte seine Schulter durchschlagen.

Draußen auf dem Flur lag die junge Kollegin, dessen Liebhaber dieses Chaos verursachte. Ihr Gesicht sah nach Schock aus, was mir aber egal war. Im Moment war mir alles egal.

Kurz ging ich noch in den kleinen Meetingraum, dort hatten sie weniger mitbekommen und saßen abwartend da, viele mit den Telefon in der Hand.

Eine Erschöpfung legte sich um meinen Körper wie ein tonnenschwerer Bleiumhang. Grad noch schaffte ich es zu einem Stuhl. Dort sackte ich zusammen, unfähig, mich noch zu bewegen oder gar zu sprechend.
Irgendwer fragte etwas, das drang wie durch Watte zu mir. Als die ersten Polizisten eintrafen, wurden sie von meinem Chef instruiert. Sanitäter kümmerten sich um den Verletzten und zwei Beamte nahmen mich mit.

Das Büro habe ich nie wieder betreten.

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Donnerstag, 24. September 2015

Selbstmörder auf dem Baukran

Diese Geschichte fiel mir heute auf dem Weg zur Arbeit ein.
 
Die Baustellenbesichtigung war ganz interessant. Mit unseren knallgelben Bauhelmen liefen wir unserem Tourguide hinterher und ließen uns die spannendsten Teile der Baustelle zeigen. Wir waren fast ganz oben, als unser Guide uns abrupt anhielt, seiner Funkanweisung lauschte, erst ungläubig, dann besorgt dreinschaute.
 
Als der junge Mann, der fast neben mir stand, sich wegdrehte, hörte ich noch das Wort "Selbstmörder" und "Kran" und "WIRKLICH?".
 
"Das ist doch Kran Drei, gleich hier neben uns." sprach er mit bemüht leiser Stimme hörbar aufgeregt in sein Mikro. "Verdammt!"
Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, atmete durch und rief uns zusammen. In beruhigenden Worten machte er uns klar, dass die Tour aufgrund eines Zwischenfalles hier nun beendet werden muss und er uns nun nach unten führen würde.
 
Nervös blickte er dabei immer wieder auf das riesige Loch in der Betonwand, wo später eine Fensterfront sein sollte. Direkt davor stand das Gitter eines gelben Baukranes. Wir sollten nun zügig daran vorbei gehen, doch ich war neugierig geworden und schaute hinaus. Tatsächlich. Etwas oberhalb von unserer Position kletterte ein ebenfalls junger Mann langsam das Gerüst hoch. Im Grunde bewunderte ich ihn dafür, denn ich hatte Höhenangst.
 
Etwas zog an meinem Ärmel, mein Guide.
"Bitte kommen Sie! Die Polizei ist informiert und wird sich kümmern."
Überzeugt klang er nicht und ich wusste aus meiner Erfahrung, dass die Kollegen erst mal unten alles absperren, einen Psychologen herbeordern und hier beordern und dann Gespräche anfangen würden.
 
Kurzentschlossen schaute ich mich um, ergriff eine lange Aluleiter und schob sie zur Fensteröffnung.
 
"Was haben Sie vor?"
 
"Wonach sieht das aus? Ich habe eine Leiter und ich werde sie benutzen." Den Spruch brauchte ich für mein Ego und meinen nervösen Magen.
 
Die Leiter konnte ich fast im fünfundvierzig Grad Winkel aufstellen und gegen die Außenwand lehnen. Der Kran stand nur, nur ist hier relativ gemeint, wenige Meter vom Gebäudekorpus weg. Meine Beine wurden weich, mein Puls schien zur Dampfmaschine zu werden.
 
Bemüht, nach vorne und ja nur nicht nach unten zu schauen, atmete ich noch einmal durch und bestieg die Leiter.
 
Gottverdammtescheiße!
 
Ja, verflucht, ich habe Höhenangst. Ja, verflucht, dreißig Meter sind HOCH und Leitern nicht vertrauenswürdig. Mit schwitzigen Händen krabbelte ich langsam über die Leiter nach oben, fast auf allen vieren und verkrampft nur nach vorn und oben schauend.
 
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
 
Im Grunde war ich froh, als ich _endlich_ den verfluchten Kran erreichte und mich im Gestänge setzen konnte, wie auf eine Turnstange. Als dieser blöde Kran sich jedoch ganz leicht im Wind drehte, verkrampften sich meine Arme und die Stange neben mir, mein Puls machte einen erneuten Satz und ich musste an mich halten, nicht die Blase gegen meinen Willen zu entleeren.
 
Es gab eine Leiter, die ich nach einigen Sekunden des Atmens nutzte. Auf dem Ausleger angekommen, schaute ich diesen entlang und erblickte den jungen Mann gar nicht weit von mir, sich ebenso wie ich, festklammernd. Ihm schien die Höhe auch nicht zu gefallen.
 
Toll!
 
"Hallo!" rief ich.
 
Hektisch drehte er seinen Kopf zu mir, schrie auf und wedelte mit den Armen. Ich sollte wohl weg bleiben.
 
Kannst du haben.
 
Er sagte noch was, was ich nicht verstehen konnte, und ich rief noch mal:
 
"Hallo!"
 
Er schüttelte mit dem Kopf und ich rief viel lauter:
 
"Können Sie nicht etwas näher kommen, dass wir uns unterhalten können? Ich habe eine scheiß Höhenangst und möchte ungern zu Ihnen raus kommen müssen."
 
Er schüttelte den Kopf. Arsch.
 
So kletterte ich ganz auf Höhe des Auslegers und etwas darauf. Da wedelte er mit den Armen.
 
"Na gut." rief ich, "Dann kommen Sie etwas näher! Sonst muss ich zu Ihnen raus."
 
Nur nicht nach unten schauen. Nur nicht nach unten schauen.
 
Tatsächlich. Er kletterte einige Meter zu mir herüber und hielt in circa zwei Metern Abstand.
 
Meine Arme zitterten etwas, mein Atem ging schwer, trotz dessen ich saß. Schweiß lief mir von der Stirn runter und mein Unterhemd klebte schon.
 
Mist verdammter!
 
"Guten Tag. Polizeihauptmeister AD Bleier. Freut mich Sie kennen zu lernen. Dürfte ich Ihren Namen erfahren?"
 
Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte er mich an.
 
"Jakob, Jakob Stresemann."
 
"Hallo Jakob. Mögen Sie mir bitte auch Ihr Geburtsdatum verraten?"
 
Wieder schaute er mich an, als sei ich hier der Irre, nicht er.
All meine Schauspielkunst zusammen nehmen, schaute ich ihn auffordernd an, als sei das hier ein ganz normales Gespräch.
 
Er nannte es mir und ich schaffte es sogar, diese Daten in meinem Notizbuch festzuhalten, welches ich blind aus der Tasche zog.
 
Nur nicht nach unten schauen. Schau ihn an, schau nach vorne.
 
"Vielen Dank. Das dient der Identifikation, damit wir Ihre Hinterbliebenen leichter informieren können. Es ist immer schwer, für die Angehörigen, wenn sie Suizidopfer im Leichenschauhaus identifizieren müssen."
 
Ein Zucken ging über sein Gesicht.
 
Ha! Daran hast du nicht gedacht, was? Dass deine Mutter vielleicht ein ganz klein wenig traurig sein könnte, ihren Sohn zermatscht auf dem Asphalt zusammen kratzen zu lassen.
 
"Ihre Körpergröße und Ihr Gewicht, bitte!"
 
"Was wollen Sie denn damit?" fragte er verwirrt und ärgerlich zurück.
 
"Na, hören Sie mal. Sie sind doch hier hoch. Kennen Sie das nicht aus den Lucky Luke Comics? Der Leichenbestatter hat doch vor jedem Duell Maß genommen, damit er hinterher schnell den Sarg bestellen konnte."
 
Sein Blick sagte alles. Ich hatte ihn durcheinander gebracht und abgelenkt. Punkt für mich.
 
Die ganze Zeit hatte ich nur ihn, und wirklich nur ihn angeschaut. Meine scheiß Höhenangst machte mir zu schaffen. Normalerweise versagte ich schon bei Hochseilgärten an der ersten Leiter nach oben.
 
Nun passte ich nicht auf, erhaschte einen Blick nach unten und alles drehte sich. Ich biss die Zähne zusammen, pumpte Luft dadurch und stöhnte verkrampft auf.
 
Fragend schaute er mich an.
 
"Höhenangst." stöhnte ich. Unten sah ich Blaulichter von Polizei und Rettungswagen. Auch zivile Kollegen waren vor Ort.
 
"Und was machen Sie dann hier?" fragte er. Na, danke.
 
"Wonach sieht das wohl aus? Sie retten!"

"Und wenn ich nicht gerettet werden will?"

"Na, dann möchte ich vorher wissen, warum Sie überhaupt hier oben sind, in dieser *zensiert* Höhe?"

"Sie haben 'n Knall!"

"Das sagt der Richtige." gab ich zurück.

Der Wind wurde etwas kräftiger und der Kran vibrierte etwas. Mein Magen sprang Flickflacks rückwärts, mein Gesichtsfeld verschwamm und ich stöhnte wieder auf. Peinlich.

Ich konnte, als ich wieder sehen konnte, ein wenig Mitleid in seinem Gesicht sehen.

"Alter." stöhnte ich. "So ein Scheiß. Ich flieg nicht mal mit 'nem Flugzeug."

Er grinste. Hey, das ging gut weiter.

"Und warum wollen Sie jetzt ohne Fahrstuhl darunter?" fragte ich. Ich musste mich ablenken.

"Meine Freundin hat mich verlassen." sagte leise.

"JA UND?" Diese Frage kam aus dem Bauch heraus von ganzen Herzen.

"ICH LIEBE SIE!"

"Klar. Das kennen wir alle. Deswegen springt man doch nicht in den Tod!"

"ICH KANN NICHT OHNE SIE LEBEN!" schrie er mich an. Das lief nun grad weniger gut. "ICH WILL SIE WIEDERHABEN!" War da eine Träne?

Vorsichtig schüttelte ich den Kopf.

"Ihren Schmerz kann ich gut nachvollziehen. Als meine erste Freundin mich damals sehr überraschend verlassen hatte, war ich auch verdammt traurig. Und wütend. Und Frauen habe ich gehasst. Alle, ok, bis auf meine Mutter."

"Ich kann nicht ohne sie leben." wiederholte er nun etwas ruhiger.

"Na, bisher machen Sie einen sehr lebendigen und fitten Eindruck. Also klappt das schon mal sehr gut. Der Schmerz geht vorbei, das kann ich Ihnen versprechen. Ich brauchte ein Jahr, um über das gröbste hinweg zu sein und Frauen nicht mehr pauschal blöd zu finden."

Nun war er es, der den Kopf schüttelte.

"Und dann, dann geht's ab! Ich hatte danach die lustigste Zeit in meinem Leben, was den Sex angeht. Alter Schwede. Da spielt man wieder richtig auf. Das hat Spaß gemacht."

Gedankenverloren an diese Zeit, schaute ich von ihm weg und mein Blick glitt nach unten. Sofort drehte sich alles und erneut verkrampfte ich mich in das Gestänge.

"SCHEISSEEEEEE!" stöhnte ich.

"Hä?" fragte zurück.

"Hab nach unten geschaut." ächzte ich.

Mit gerunzelter Stirn schaute er mich an, als sei ich selbst Schuld. Dann überraschte er mich mit seiner Frage:

"Meinen Sie, das geht wirklich vorbei."

"Scheiße, verdammte, ja. Nach dem Jahr des Zorns hatte ich Sex wie nie. Dummerweise hatte ich immer recht schnell wieder 'ne feste Freundin. Naja, nun bin ich verheiratet. War also nicht so schlimm."

Nachdenklich sah er mich an.

"Ich vermisse sie."

"Das ist gut so. Wäre auch komisch, wenn nicht. Nützt aber nix, wenn sie nicht mehr bei Ihnen sein will. Reisende und so."

Er nickte. Ha! Noch ein Erfolg.

"Und was glauben Sie, wird Ihre Ex von Ihnen denken? Glauben Sie, sie wird vor Trauer zerfließen? Mit Sicherheit wird sie denken, Sie sind ein solches Weichei, dass vor Trauer gleich vom Kran hüpft."

Der Mund stand ihm offen. "Äh."

Eine Bö ließ den Kran sich drehen. Mir wurde weiß und schwarz vor Augen. Ein Stöhnen entrang sich meiner Kehle. Ich würgte.

Skeptisch schaute er mich an. "Alles ok mit Ihnen?"

"Nein, verdammt. Sieht das hier ok aus?" Meine Klamotten waren klatschnass. Meine Hände weiß, weil sie sich um das Gestänge verkrampften und mir speiübel. Wieder würgte ich.

"Hilfe!" presste ich zwischen den Zähnen hervor. Meine Kräfte schwanden.

"Hä?"

"Hilfe! Sie müssen mir helfen! Ich kipp hier gleich runter. Und ich wollte heute nicht sterben."

"Wie soll ich Ihnen helfen?"

"Keine Ahnung, kommen Sie her, halten mich, helfen mir auf die Plattform was weiß ich, zur Hölle. Sie sind länger hier oben, als ich." Meine Worte kamen gehetzt zwischen den Zähnen hervor.

"Man, wenn es Ihnen hilft, können Sie danach ja immer noch springen."

"Bitte!" ergänzte ich, wieder würgend.

Sichtlich hin und her gerissen, zögerte er. Doch dann machte er sich auf den Weg.

Gott im Himmel, ich danke dir!

Bei mir angekommen, ergriff er mich am Gürtel und zog mich zur Leiter. Ich zitterte nicht mehr, ich schlotterte am ganzen Körper. Ein sich schüttelnder Hund war nichts gegen mich. Beruhigend legte er seine Hand auf meine Schulter, was ich mit einem dankbaren Blick quittierte.

Nach und nach, Schritt für Schritt kletterten wir nach unten. Er hatte mich umfasst, fast könnte es aussehen, als hätten wir Sex. Oh man, Gedanken die man sich macht.

Auf der ersten Plattform brach ich zusammen. Ein Schüttelkrampf packte mich und ließ mich mehrere Minuten zittern, dass ich sicher war, dass die Einsatzkräfte das unten spüren mussten. Was oder ob in den Minuten etwas passierte, kann ich nicht sagen. Ich weiß da nichts mehr von.
Als ich wieder klar war, saßen wir zusammen nebeneinander auf dem schmalen Gitter und schwiegen.

"Danke."

"Hmm?"

"Danke. Dass Sie mich gerettet haben."

"Ah. Wollen Sie nicht mehr den direkten Weg nehmen?"

"Nein."

Ich nickte. "Gut."

Wieder schwiegen wir. Von unten ertönten Schritte auf der Leiter. Ich vermutete, dass ein Polizeipsychologe die falsche Karte gezogen hatte und zu uns rauf musste.

Nein, es kam ein behelmter Einsatzmann vom SEK. Ich vermutete, Geiselrettung.

"Guten Tag."

"Tag." antworteten Jakob und ich zusammen und mussten grinsen.

Irritiert schaute der Beamte uns durch seine Schutzbrille an. Mit zusammengekniffenen Augen fragte er:

"Was ist hier los?"

Ich nickte zu meinem Sitznachbarn rüber. "Wir wollen gleich ein Bier trinken."

"Wollen Sie mich verarschen?"

Müde lächelte ich und schüttelte den Kopf.

"Ich wollte springen."

Der Beamte nickte. "Das hatten wir vermutet. Und jetzt nicht mehr?"

"Nein, jetzt nicht mehr."

"Kommen Sie freiwillig runter?" fragte er, sein Ton war nun eher genervt.

Jakob nickte.

"Dann folgen Sie mir bitte." Ah, doch erleichtert, nicht in den Ringkampf gehen zu müssen. "Kommen Sie auch allein runter?" Sein fragendes Gesicht schaute mich an und ich war versucht, etwas böses zu antworten.

"Gute Frage. Ich kotze gleich. Haben Sie Scheuklappen?"

Wow, sein Gesicht änderte die Farbe von sportlich rot in Zornesrot innerhalb von Sekunden.

"Man, das war ein Witz. Ein scheiß Witz. Sorry, Kollege."

"Kollege?" fragte er, die Augenbrauen skeptisch erhoben.

"Polizeiobermeister Blei." antwortete Jakob statt meiner.

Schwach grinste ich und berichtigte: "Polizeihauptmeister AD Bleier."

"AD?" Der Beamte schaute mich nun sehr intensiv an. "Bleier? Der Bleier?"

"Ja." antwortete ich leise. Verhindern konnte ich nicht, dass mein Gesicht sich vor Trauer verzog. "Der Bleier."

Der Kollege gegenüber nickte und winkte dann Jakob zu. "Dann kommen Sie mal bitte. Das Bier unten geht auf mich."

Beide kletterten voran, ich langsam hinterher. Auf jeder Plattform empfing uns ein Kollege, die dann hinter mir her kletterten. Je tiefer wir kamen und je mehr Polizisten um mich kletterten, desto besser ging es mir.

Nach gefühlten Stunden kamen wir unten an. Als ich endlich endlich festen Boden unter den Füßen spürte, wurde mir schwarz vor Augen und ich spürte nur noch, wie kräftige Hände mich packten.

Als ich die Augen wieder aufschlug, sah ich erst blauen Himmel, dann einen Sanitäter, der mir bekannt vorkam und den Beamten, der ganz oben war.

"Na, wieder besser."

Nickend ergriff ich die Wasserflasche, die mir der Sani reichte. Den halben Liter leerte ich in einem Zug. Ich bekam noch eine.

"Was ist mit Jakob?" fragte ich.

"Den haben wir im Bus. Wird verhört."

"Darf ich gleich zu ihm?"

"Sicher." antwortete er mit einem gleichgültigen Achselzucken.

"Ich möchte ihm einen Arschtritt verpassen."

Anerkennend hob Leiter des SEK eine Augenbraue.

"Gute Idee. Von mir gleich mit."

Mit Hilfe des Sani gelangte ich sicher zum Bus. Jakob sah nicht glücklich aus. Der Beamte in zivil, der ihn verhörte, auch nicht. Er sah aus, wie eine Bulldogge, die eine kleine Katze vor sich hatte, die sich gleich verspeisen wollte.

"Na?"

"Na."

"Was ist los? Siehst aus, als wärest du doch lieber gesprungen."

"Na, der Typ hier" er zeigte auf den Beamten in zivil, "macht einen auf Psychorambo und sieht aus, als wolle er mir die Fresse polieren."

"Das hast du auch verdient. Von mir bekommst du auch noch einen Arschtritt! Geht nur grad nicht."

Ich ließ mich einfach neben den Zivilen in den Sitz fallen, schnappte mir den Protokollbogen und las.
"Na komm, das schaffen wir."

Zusammen gingen wir die Personalien durch, dann trat der Polizeipsychologe auf und übernahm. Der Mann verstand sein Handwerk. Ich hörte Jakob immer entspannter antworten. Der Zivile rückte bedröppelt ab.

Erst jetzt fiel mir das Aufgebot auf, dass hier aufgefahren wurde. Zahlreiche Polizeiwagen standen herum, Krankenwage, Feuerwehr. Hinter Absperrungen standen so viele Neugierige, dass die Polizisten sie kaum abhalten konnten. Lauter Reporter drängelten sich. Kameras filmten das ganze Gelände. Schnell klappte ich den Kragen meiner Jacke hoch und zerrte mein Basecap aus der Jackentasche. Ich versteckte mich hinter einen Bus und lugte um die Ecke.

Wie komme ich hier wieder weg? Der Sani sah mich, erkannte mein Dilemma und sprach mich an.

"Na, Fluchtauto nötig?" grinste er breit.

"Oh man, gerne. Ich geb 'n Bier aus."

"Nicht nötig. Sie haben einen gut bei uns. Immerhin müssen wir hier keine Scheiße aufwischen." lachte er trocken.

Ein anderer Beamter lief auf mich zu. Mist! Das wird wohl nix mit schnellem Abgang.

"Können Sie morgen zu uns aufs Revier kommen, Herr Bleier? Wir brauchen Ihre Aussage. Ihre Aktion hat große Wellen geschlagen. Sie sehen ja, was hier los ist."

"Geht klar."

Formlos reichte er mir seine Karte und ich verzog mich mit dem Sani. Da rief jemand:
"Bleier! Warte!"

Jakob, gefolgt von einem Polizisten und dem Psychologen, lief auf mich zu.

"Man, hau doch nicht einfach ab."

"Sorry, Jakob, mir geht's nicht gut. Ich bin müde. Hundemüde."

Enttäuscht sah er mich an.

"Keine Sorge, es bleibt bei unserem Bier. Versprochen. Nur bitte nicht heute. Ok?"

Sofort hellte sich seine Miene auf. "Ok."

Nun hatte ich auch seine Karte in der Hand, las kurz und steckte sie weg. "Anwendungsentwickler. So so. Erzähl mir bei Bier mehr davon. Ich wende mich jetzt an mein Bett."

Zwinkernd winkte ich ihm zu und wurde vom Sani nach Hause gefahren.


Drei Tage später kratzte man die zerschlagenen Reste von Jakob von der Stelle, wo er mir die Karte überreicht hatte. Ich habe sie bis heute nicht weggeworfen.

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Überfall auf das Büro

Gähn! Was für ein langer und weiliger Tag. Nun ja, das Mittagessen lag mir auch schwer im Magen und so versank ich langsam in meinem riesigen Chefsessel, die Füße auf einem typischen Papierkarton aufgestützt und surfte gelangweilt vor mich hin.
Im Grunde hätte ich ein Nickerchen machen sollen, dazu fehlte uns leider der Raum. So überlegte ich gerade, ob ich mir einen Kaffee holen sollte oder spazieren gehen oder gar beides, da rumpelte es an der Tür und ein Knall, gefolgt von einem Schrei, hallten durch den Flur.
 
Da ich mit dem Rücken zur Tür saß und das Fenster mir gegenüber war, konnte ich in der Spiegelung meine Tür beobachten. Das hatte ich schon immer gern genutzt, um zu sehen, wer sich leise in die Tür stellte, um mich zu beobachten. Ja, solche Kollegen hatte ich.
 
Nun stellte sich diese Situation als praktisch heraus, denn nach dem anfänglichen Knall folgte ein längeres Knattern, dass ich so nur aus Filmen kannte.

Schüsse? Hier? Verwechseln die uns?
 
Schwere Schritte kamen den Flur entlang, Türen wurden aufgerissen, Kollegen aus den Büros gezerrt, ab und an ein Schuss, Möbel fielen um. Irgendwo klirrte Glas, weinen. Das alles hörte ich und mein Puls stieg und somit auch die Hitze in meinem Kopf.

Man man.
 
Da flog meine Tür auf, jemand schaute kurz rein, jemand mit einer großen schwarzen Waffe in der Hand, und verschwand wieder. Die Tür fiel langsam wieder hinter ihm zu. Dieser Jemand trug so was wie eine Maschinenpistole, das konnte ich noch erkennen, grobe Kleidung und einen Bart.
 
Und jetzt?

Es wurde ruhiger. Ah, den Geräuschen nach trieben die zwei, ja, es mussten mindestens zwei sein, alle meine Kollegen im Meetingraum zusammen.
 
Ok.

Leise erhob ich mich vom Stuhl. Unschlüssig, ob ich durch das Fenster abhauen sollte oder etwas unternehmen, lugte ich durch die Tür. Nur keinen Lärm machen.
Der Flur war leer. Unser Büro hatte nur sechs Räume plus Meeting Raum. Neben meinem Büro befand sich die Küche, daneben das Klo. Auf dem Flur lagen Stühle, Papiere und eine Aktentasche samt auf dem Boden verteilter Ordner. Es musste einige meiner Kollegen erwischt haben, die grad zum Kunden wollten.
 
Links von mir standen die Türen offen, keine Bewegung. Hören konnte ich vom anderen Ende lautes Sprechen. Boshaft, vorwurfsvoll. Schnell schlüpfte ich in die Küche, öffnete die Geschirrschublade und schnappte mir ein Küchenmesser. Immerhin etwas.
 
Zurück auf dem Flur ging ich Richtung Meeting Raum. Als dort die Tür aufflog, sprang ich in die Tür zum Klo.

"Richard! Komm endlich!" schrie jemand.

Vom Klo, also vor mir, kam ein genervtes "Ja ja!" zurück. Die Tür zum Toilettenraum öffnete sich, mit dem Rücken zu mir kam jemand heraus und drehte sich zu mir um. Überrascht blickte er mich, immerhin stand er unmittelbar vor mir, entsetzt starrte ich zurück. Er war unrasiert, sein Atem ging schnell, er roch nach Urin, Schweiß und billigem Aftershave.
 
Um ihn dann, zu meinem Erstaunen, vor mir zusammenbrechen zu sehen. Verwirrt schaute ich ihn an, wie er vor mir zusammensackte. Mein Blick fiel auf das blutige Küchenmesser, dass ich vor mich gehalten hatte. Er war mittenrein gelaufen.
 
"RICHARD!"
 
Ehe der Verletzte antworten konnte, grunzte ich so was wie eine Antwort, trat dem Mann ins Gesicht, zerrte ihn ins Klo und schnappte mir seine Waffe. Eine MP5. Sie war fertig geladen und entsichert.
 
Dem Mann rammte ich mein Knie mehrfach ins Gesicht, stopfte ihm hastig ein Handtuch in den Mund und schloss die Tür. Fast wäre ich auf der Blutlache, die sich langsam ausbreitete, ausgerutscht.
 
Mit der Maschinenpistole in der Hand, trat ich auf den Flur. Leer.

Aus dem Meetingraum hörte ich aufgeregte Stimmen.
"Sie haben mein ganzes Vermögen vernichtet! Ich habe all mein Geld bei Ihnen angelegt, jetzt ist nichts mehr davon da! Dafür müssen Sie büßen!"
 
Mein Chef schien etwas erwidern zu wollen, ein klatschendes Geräusch und sein schmerzhaftes Aufstöhnen sprachen dafür, dass der Anführer die Antwort nicht hören wollte.

Die MP an der Schulter trat ich langsam vor. Einzelne Kollegen konnten mich schon sehen und machten große Augen. Ein Mann in grober Kleidung und Bart lugte auf den Flur, schaute mir erstaunt in die Augen, riss seine Waffe hoch und ich drückte ab.
Die Salve traf, jedenfalls die ersten Kugeln. Zwei nein drei, rissen Löcher in die Rigips Wände.
Der Bärtige wurde herumgewirbelt, drehte sich um die eigene Achse und fiel dann um wie ein Baum.
 
"MIKE!" kam es aus dem Meetingraum.
 
Die Blicke meiner Kollegen sprachen Bände. Einige Gesichter wechselten die Farbe passend zur weißen Wand. Mit einem beherzten Sprung stand ich in der Tür, zielte auf den letzten Mann und sprach schnell und hart:
 
"Zwei Möglichkeiten: Waffe runter oder du stirbst!"

Die berühmte Stecknadel hätte man selbst auf unserem dicken Teppich hören können. Niemand atmete. Lange Sekunden starrten wir uns an. Dann begann er ganz langsam die Arme zu heben.
 
Die MP hielt ich fester im Arm und den Finger am Abzug.
 
Langsam, viel zu langsam, hoben sich die Arme um dann Explosionsartig zu seiner Waffe greifen zu wollen um diese hoch zu reißen.

Mein Finger zog den Abzug durch, ohne, dass ich darüber nachdachte. Der Mann vor mir wurde durchgeschüttelt wie eine lachende Marionette, Löcher perforierten die Kleidung und als mein Magazin leer war, quoll Blut aus zahlreichen Wunden des Oberkörpers.
 
Mit einem erstaunten Gesichtsausdruck kippte er gegen die Wand und rutschte daran herunter, ein bizarres rotes Muster verbreitend.

Ruhe. Immer noch saßen alle still da und starrten mich an. Irgendwo im Hintergrund hörte ich eine Polizeisirene. Entschlossen richtete ich mich auf. Prüfte den Puls des Mannes, der neben der Tür lag, tot. Eine Patronenhülsen klimperten eine leise Melodie des Todes, als ich aus dem Meetingraum trat um zur Toilette zu gehen.

Die MP hatte ich mit einem Magazin von der Leiche vor der Tür nachgeladen. Ja, der Mann auf dem Klo lebte noch. Noch. Kurz zuckte mein Lid. Kurz zuckte mein Finger. Nein, ich mochte ihn nicht erschießen.
 
In meinem Kopf drehte sich alles. Denken fiel mir immer schwerer. Das Erlebte brachte meinen Verstand, mein Gewissen, meinen ganzen Körper in Aufruhr. Tausende Gedanken, keiner klar. Wie ein alter kranker Mann bewegte ich mich, dabei überall Halt suchend.
 
Fußgetrappel hinter mir. Erstaunte Ausrufe und Order nach Verstärkung drangen an mein Ohr. Polizei, vermutete ich und trat wieder auf den Flur. Zwei Streifenpolizisten, mit gezogenen Waffen und mehr als verdutzten Gesichtern, starrten mich an um dann sofort ihre Pistolen in meine Richtung zu halten.
 
"WAFFE RUNTER!" brüllten beide.
 
Nun war ich es, der sie verwirrt anstarrte. Die MP hatte ich längst vergessen. Sekunden vergingen. Mein Gehirn verarbeitete das gesagte wie eine Schnecke.

"WAFFE RUNTER! SOFORT!"

Matt ließ ich den Kopf hängen und stierte auf die MP. Wie einen Fremdkörper schüttelte ich sie ab, so dass sie klappernd zu Boden fiel.

Die Beamten, jeder eng an der Wand und leicht geduckt, näherten sich langsam und ich wunderte mich, dass sie sich drehten. Nein, ich drehte mich. Mein Kreislauf hatte aufgegeben, die Beine versagten den Dienst. Mit einer langsamen Drehung brach ich auf die Kniee, fiel dann um wie ein nasser Sack.

Hektische Stimmen, Weinen, Schreie und eilige Schritte drangen nur noch wie durch Watte zu mir durch. Kaum in der Lage, meinen Blick zu wenden, ließ ich mir Handschellen anlegen, die bald darauf wieder abgenommen wurden. Ich wurde aufgehoben, wegetragen. Licht, viel zu hell. Angenehme Schwärze lullte mich ein.

Mein letzter Gedanke war: "Ich habe zwei Menschen getötet."

© ist und bleibt beim Autor dieser Zeilen. Nachdruck, Verbreitung, Kopie und Veröffentlichung nur gegen Nachfrage.
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Mittwoch, 23. September 2015

Wunschreisen

Meine Fähigkeit erlebte ich zum ersten Mal, als ich mitten in der Pubertät war. Diese Zeit war für mich eher anstrengend, weil ich ständig das Gefühl hatte, dass mein Körper sich komplett im Umbau befand. Was umgebaut wurde, konnte ich nicht sagen, nur das.
So litt ich vor mich hin, träumte oft von Wärme und Sonne und der Liebe eines hübschen Mädchens.
 
Bei einem dieser Tagträume blätterte ich gelangweilt in einer Zeitschrift. Bei dem Bericht über eine einsame, griechische Insel blieb ich hängen und stellte mir vor, wie es wäre, wäre ich dort. In diesem Tagtraum versunken verlor ich mich regelrecht. Anders kann ich es nicht beschreiben.
 
Intensiv starrte ich auf das Bild, malte mir aus, wie schön es wäre, die Sonne auf meiner von Akne gezeichneten Haut zu spüren, nachdem ich im Salzwasser gebadet hatte. Ich hatte gehört, das hilft gegen Akne. Immer weiter sponn ich diesen Gedanken, träumte und verlor mich.
 
Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich eine Art Ziehen spürte. Dann blickte ich mich um und saß am Strand.
Weißer Strandsand vor, steile Felsen hinter und dunkles Wasser neben mir. Leise rauschten die Wellen an den Strand. Erste Sterne hingen am Himmel.
 
Sie können sich mein Erstaunen vorstellen. Und meine Überraschung. Und dann kam die Panikattacke, die ich nicht vergessen werden. Ich schrie, als hätte jemand ein Messer in meinen Bauch gerammt. So ungefähr fühlte es sich für mich auch an. Nur, dass dieser Jemand noch mit Stacheldraht meinen Hals zuschnürte.
Irgendwann lag ich schweißgebadet im Sand, atmete schwer in den Sand, den ich aus meinem Mund spucken musste, erbrach mich, was mein Gesicht sofort warm umspülte und die Kotze in meine Nase und Augen trieb.
 
Schwer erhob ich mich, meine Arme und Beine schienen nicht mir zu gehören, waren wie Gummi.
Ich schleppte mich zum Wasser, wusch mich und war versucht meinen Mund mit dem Meerwasser auszuspülen. Diesem Wunsche konnte ich gerade noch widerstehen.
 
Kneifen, wie es vielfach in den Romanen gemacht wird, brauchte ich mich nicht. Ich hatte mir den Kopf ein einem Stein gestoßen, die Beule zeugte von der Echtheit meiner Anwesenheit. Der Kotzesee und meine nassen Klamotten auch.
 
Noch völlig durcheinander, versuchte ich mich zu orientieren und zu verstehen, was passiert ist.
Je mehr ich mich umschaute, desto mehr erkannte ich Sachen von dem Bild, das ich mir so intensiv anschaute. Also hatte ich mich hierher geträumt. Wäre mir nicht so elend zumute, wäre das ja fast lustig gewesen. Und ich war wohl auf der griechischen Insel.
"Wie komme ich hier wieder weg?"
 
Da ich mich hierher geträumt hatte, konnte ich mich vielleicht wieder zurückträumen.
 
Der Gedanke war gut, nur war ich so nervös, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. So ging ich schwimmen. Noch heute lache ich bei dem Gedanken, dass ich, zum ersten Mal gesprungen, nicht zurück konnte und schwimmen ging.
Aber es half. Das relativ kühle Wasser brachte mich auf andere Gedanken, lenkte mich ab und erfrischte mich.
Hey, ich war in Griechenland. Das musste ich doch nutzen.
Nach dem Bad setzte ich mich, nackt wie ich war, an den Strand, schloss die Augen und dachte an mein Zimmer zu Hause. Ich stellte mir mein Bücherregal vor, meinen Schreibtisch, den Stuhl davor, mein Bett. Besonders mein Bett malte ich mir besonders intensiv aus, kuschlig und warm und weich.
 
Es klappte nicht sofort. Es brauchte einige Übungen, so ganz ohne Bild, bis ich das Ziehen spürte und mich auf mein Bett wieder fand. Herrlich. Ok, ich war nackt, das war blöd. Meine Klamotten lagen in Griechenland. Das Teufelchen gewann. Nach einem kurzen Schluck aus der Wasserflasche schnappte ich mir das Photo und dachte mich zurück an den Strand.
 
Dieses Mal ging es etwas schneller. Nur wenige Minuten schaute ich auf das schöne Bild von der griechischen Küste und verspürte das Ziehen. Etwas entfernt von meinen Klamotten fand ich mich wieder. Einige Meter daneben war noch der Kotzesee. Schnell sammelte ich die Sachen ein, setzte mich hin und dachte an mein Bett.

Ein zufälliger Zuschauer hätte gesehen, wie aus dem Nichts ein nackter junger Mann auf dem Strand erscheint, schnell die herumliegenden Sachen einsammelt, sich mit den nackten Hintern
im Schneidersitzauf den Strand setzt, kurz die Augen schließt und wieder verschwindet.
Wieder zu Hause, atmete ich erst mal durch, gab mir eine Ohrfeige und kniff mich. Eigentlich war das nicht notwendig, denn es klebte immer noch Sand an meiner Haut, der sich langsam löste und sich auf meinem Bett verteilte.
 
Ich beschloss, heute keine Experimente mehr zu machen. Sicher ist sicher.


Der zweiter Sprung

Am nächsten Tag überlegte ich, ob es nur ein Traum war oder ob ich wirklich auf dieser tollen Insel war, beschloss vorerst keinen weiteren Versuch zu unternehmen, bevor die Schule nicht zu Ende ist.

Die Schule war langweilig wie immer. Wieder zu Hause, quälte ich mich durch die Hausaufgaben, aß zu Abend und verzog mich auf mein Zimmer. Jetzt hatte ich Ruhe.

Ich zog den Reisekatalog hervor und vertiefte mich in das bekannte Bild. Das Ziehen kam viel schneller und schwupps fand ich mich am Strand wieder. Herrlich.
Weißer Sand, die untergehende Sonne, das Meer, das junge Mädchen neben mir, erste Sterne und ... Moment!
Ein Mädchen?
Entsetzt starrten wir uns an.
Sie mich, als sei ich ein Geist.
Ich sie, weil ich mich ertappt fühlte.
Sie stand halb hinter mir und hatte auf jeden Fall gesehen, dass vorher der Strand leer war. Verdammt!

Lange Augenblicke starrten wir uns an. Dann lächelte ich schüchtern und brachte ein "Hallo." hervor.

Sie antwortete mir irgendetwas auf griechisch, was ich nicht verstand. Dann fing sie an, zu reden wie ein Wasserfall. Ich fragte auf englisch, ob sie mich verstehen könne, leider war ihr englisch sehr schlecht. Immerhin.

Erst erklärte ich ihr, das ich kein böser Mensch war, dann, was ich hier mache. Mit Händen und Füßen redete ich, malt Bilder in den Sand und radebrachte vor mich hin. Sichtbar schwer fiel es ihr, mir zu glauben. Mir fiel ein, dass ich es ihr zeigen könne.
Ich wies sie an, zu warten, konzentrierte mich auf das andere Ende der Bucht und war kurz darauf dort. Ein leiser Aufschrei hallte zu mir herüber.
Nun konzentrierte ich mich auf das Mädchen und wenig später stand ich unmittelbar vor ihr. Mit großen braunen Rehaugen starrte sie mich an. Man, sie war bildschön, mein Alter und ich fühlte ein Kribbeln im Bauch, dass ich vorher so nicht kannte.

Nun ja, beim Kribbeln blieb es nicht. Wir küssten uns und viele wilde Küsse später lagen wir auf dem Strand und liebten uns. Was für eine Nacht.
Als die Sonne den Horizont wieder heller werden ließ, verabschiedete ich mich von ihr und war schnell zurück in meinem Zimmer. Mir blieben noch knapp zwei Stunden Schlaf bis mein Wecker mich aus einem schönen Traum riss.

Der Schultag war anstrengend. Nicht nur, weil ich so hundemüde war, nein, ich dachte auch immer an meine kleine griechische Perle. Die Mädels aus meiner Klasse hatten soeben viele Punkte verloren. Zumal einige sich gaben, als seien sie die hübschesten Mädels auf der Welt. Innerlich kotzte ich ihnen vor die Füße.

Da wir heute keine Hausaufgaben aufhatten, schlief ich erst mal eine Runde. Danach sprang ich wieder auf den griechischen Strand.
Und war allein.
Mehrere Stunden wartete ich, doch sie kam nicht.
Traurig sprang ich zurück um mir sofort den Katalog zu schnappen und ein anderes Ziel zu suchen.


Wohin als nächstes?

Rügen. Hmm, eher langweilig. Kopenhagen? Unspannend. Sylt? Never! Wenn, dann Ostsee! Riga. Naja, erst mal nicht darüber. Die Alpen? Brr, zu kalt. Legoland! JA!

Schnell vertiefte ich mich auf das Bild, besonders auf den Weg vor den Legobauten und fand mich vor einem großen Legoindianer wieder.
Spärlich beleuchtet lag der Park still da. Gemütlich ging ich durch die Landschaften und genoß die Ruhe. Bis plötzlich hinter mir jemand auf dänisch etwas rief. Da ich weder griechisch noch dänisch spreche, vermutete ich nur, dass ich stehen bleiben solle. Das tat ich aber nicht und flitzte los. Schnell um einige Ecken rum, über flache Legolandschafte und zuletzt einen Flughafen. Schließlich konnte ich mich verstecken, Luft holen und dachte an mein Zimmer.
Schnelle Schritte kamen näher.

Ruhter Atmen! Ruhiger Atmen!
Mein Zimmer! Denk an das Zimmer, das Bett!

Als ich die Augen öffnete, sah ich Taschenlampen aufleuchten, schon recht nahe.
Wieder schloß ich die Augen, versuchte, die Wachleute auszublenden, dachte an mein warmes Bett und fühlte das Ziehen.

Schwer ausatmend fand ich mich auf meinen Bett wieder.
"Oh man! Ich muss besser aufpassen."
Aufgezogen wie ein HB-Männchen schritt ich in meinem Zimmer auf und ab. Hin und her gerissen, ob ich das nun lustig oder beängstigend finden sollte, lief ich hin und her und überlegte, wie ich nun fortfahren könne. Oder ob mir vielleicht Gefahren drohen?

Was, wenn ich in einem Vulkan lande?
Ach, egal. Dann ist's vorbei.

So grübelte ich eine Weile vor mich hin und den Schalk im Nacken, sprang ich einfach mal in den Keller, um mir eine Flasche Saft zu holen. Es gelang. Ich wurde immer besser, immer schneller. Die ganze Aktion dauerte nur wenige Minuten. Zu Fuß wäre ich schneller gewesen, jedoch machte es so sehr viel mehr Spaß.

Am nächsten Nachmittag fragte mich meine Mutter verwirrt, ob ich gestern spät abends nochmal im Keller gewesen wäre. Sie hatte die Flasche gefunden.

Ok, besser aufpassen!

Sprungreisen

In den nächsten Tagen sprang ich immer weiter. Über Internet suchte ich mir tolle Bilder, lud sie in Vollbild auf den PC und sprang dahin, nachdem ich sie nur wenige Sekunden betrachtete.
Herrlich!
Fast jeder der Orte, die bing.de täglich zeigte, besuchte ich persönlich. Ich war in der russischen Steppe, in der finnischen Tundra, in der Wüste, leider auch im Atlantik, die Insel Pitcairn verfehlte ich um einige Meilen, war in Kanada mitten im Grünen und zuletzt auf Mallorca. Ja, billig, ich weiß, aber da wollte ich schon immer mal hin.
Für mein schmales Budget war Ballermann grad gut und ich konnte das gebrauchen. Und die Mädels waren einfache Beute.

Beim Thema Geld fiel mir etwas anderes ein. Tresore! Vielleicht könnte ich in einen Tresorraum eindringen, mir Geld "borgen" und dann verschwinden.

So suchte ich nach Bildern von Banktresoren.
Die anfängliche Suche war weniger erfolgreich. So beschloss ich, einfach mal Banken direkt zu besuchen und mir die Tresore zeigen zu lassen. Das stellte sich als weniger interessant heraus, als gedacht. Das sind ja alles Schließfächer, da fehlen mir die Schlüssel.

Nun ja, da würde sich sicher was finden.

Als ich einige Tage später in Lehrerzimmer war um einen Bericht abzugeben, sah ich die dortige Kaffeekasse.
Am nächsten Tag machte ein Gerücht die Runde, dass die Kaffeekasse gestohlen worden wäre.
Das passierte in meinem Umfeld jetzt öfter. Vereinskassen wurden geleert, kleinere Läden in der Mittagspause beraubt, ohne das jemand den Laden betrat und vereinzelt verschwanden Pakete aus Paketlieferwagen.

Ich erfreute mich an neuem Geldzugang, verfügte über einen neuen PC und diversen Sachen, die ich bei ebay verscherbelte.

Das war ein Fehler!

Polizei im Hause

Irgendwann klingelte es an der Tür, schwere Schritte polterten die Treppe hoch und die Polizei stand in der Tür. Mein Glück war, dass ich schon fast alles verkauft hatte und mein geklautes Geld in einem Schließfach aufbewahrte. Der Schrecken war trotzdem groß. Man wies mir nach, einen geklauten PC verkauft zu haben. Ich gab an, den selber gebraucht von einem Fremden angeboten bekommen zu haben, wollte dann aber doch lieber Geld, statt des PC. Somit war der PC und das Geld weg, mein Ruf angekratzt, denn das sprach sich leider rum, dass die Polizei bei mir war, jedoch passierte weiter nicht viel.

So sprang ich erst mal wieder in der Welt herum, klaute Dollars und schaute mir spannende Ecken an und Angst, entdeckt zu werden, hatte ich immer weniger.
Selbst, wenn ich mitten auf einer Straße landete, achtete kaum jemand auf mich. Ich musste nur schnell weitergehen und so tun, als sei alles normal.
Zumindest klappte das in großen Städten wie New York oder Paris sehr gut. In kleinen verträumten Orten war das schwieriger, da musste ich mir vom Bild eine Ecke suchen, die ruhig zu sein versprach.

Sprung via Satellit

Bald probierte ich, ob die Sattelitenaufnahmen von den Kartendiensten mir auch helfen konnte. Das lief aber nicht so gut. Irgendwie lenkten mich die Bilder ab und, schlauerweise, wählte ich als Ziel einen See, ich konnte die Höhe nicht bestimmen. So sprang ich und landete in gefühlten tausend Metern Höhe, es wären wohl "nur" zwanzig oder dreißig Meter, in der Luft und fiel wie ein Stein schreiend ins Wasser.
Aua!
Die nächsten Wochen sprang ich erst mal nicht mehr.

Praktisch wurde meine Gabe, als mir die Schulschläger auf dem Weg nach Hause mit gewohnt schlechter Laune entgegen kamen. Ich floh um eine Ecke, sprang hinter eine Mülltonne und war weg.
Am nächsten Tag schauten sie mich verunsichert aus der Ferne an, ließen mich aber in Ruhe.
 
Versuche, die Mädchenumkleiden zu erreichen ohne gesehen zu werden, verliefen nicht so erfolgreich und brachten mir nur ein Gespräch mit dem Rektor ein. Die Toiletten konnte ich besuchen, da ich in die entlegensten Kabine sprang, die ich mir vorher heimlich anschaute, und konnte dann Gespräche belauschen. Mehr war aber nicht drin. Und so spannend waren die Unterhaltungen nicht, meist ging es um tolle Jungs, tolle Lehrer, doofe Mitschüler und Schminke.
 

Ein lebensgefährliches Problem

Eines Abends fiel ich hundemüde ins Bett und schlief fast sofort ein. Im Halbschlaf musste ich wohl die Bilder des Bildschirmschoners betrachtet haben. Darauf liefen die Bilder von der Mars Mission Curiosity ...
 

Alternatives Ende


Vermisst: Seit Dienstag Abend wird der 17jährige Marco S. vermisst. Er verschwand ungesehen aus dem Haus seiner Eltern und wurde seit dem nicht gesehen. Wer sachdienliche Hinweise zum Auffinden von Marco S. hat, wendet sich bitte an die Polizeidienststelle ...

 

Alternatives Ende Zwei


+++ Sondermeldung: Gibt es Leben auf dem Mars? Die Mars-Sonde Curiosity hat die Überreste von menschlichem Gewebe und Knochen gefunden. Auch sowas wie Kleidung scheint vorhanden zu sein. Die Überreste sind jedoch bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die gefundenen Überreste scheinen zu einem regelrecht explodierten Körper zu gehören. Weitere Informationen liegen zur Zeit nicht vor. +++

 

Alternatives Ende Drei

Mein Protagonist kann den Sprung gerade noch abbrechen, hat nun aber Angst vor "gefährlichen" Bildern.
 
 
Was gefällt Ihnen besser?
 
© ist und bleibt beim Autor dieser Zeilen. Nachdruck, Verbreitung, Kopie und Veröffentlichung nur auf Nachfrage.

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